Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)
Willen war, bevor er über ihr weiteres Schicksal entschied?
Karl ahnte, was hinter der schönen nassen Stirn vorging. Er zögerte Ezras Qual noch ein wenig hinaus, erhob sich und wusch schweigend seine Hände in der Schüssel.
Dann wandte er sich wieder um und fragte unvermittelt: »Kannst du meine Kuppel so bauen, wie es dein Vater getan hätte?«
Ezra fasste sich ans Herz, das zu zerspringen drohte.
»Bist du dazu imstande? Das ist meine erste Frage!«
Ezra nickte.
»Und die zweite: Wann wird sie fertiggestellt sein?«
Ezra musste sich sammeln. Sie hob eine zitternde Hand, um anzuzeigen, dass sie nachdenken müsse, bevor sie eine Antwort geben könne.
Der König trat näher, ergriff ihre Hand und zählte die Finger ab.
»Fünf Jahre? Das ist zu lange! Viel zu lange.«
Er ließ die Hand wieder los.
Taumelnd trat Ezra einen Schritt zurück. Ihre Knie waren immer noch weich. Doch ein großer Teil der Anspannung war von ihr abgefallen. Der König würde nicht über sie richten. Der König brauchte sie. Die Kuppel war ihm wichtiger als alles andere.
Sollte sie ihn tatsächlich dazu bringen können, sich noch fünf Jahre zu gedulden? Odo und Einhard hätten es nie gewagt, dem König eine so lange Bauzeit für den krönenden Abschluss seiner capella vorzuschlagen. Auch sie hatte dies nicht getan; Karl hatte aus ihrer erhobenen Hand lediglich diesen Schluss gezogen. Die Könige lenken die Menschen, die Gelehrten die Könige, entsann sie sich eines Satzes aus ihrer Heimat. Hier hatte sie mit ihrer Hand gänzlich unbeabsichtigt den König zu einer Schlussfolgerung gelenkt. Allah hatte diese Hand geführt, ihr und den anderen Zeit geschenkt.
Ein Lächeln breitete sich auf ihrem schönen Antlitz aus, als sie noch einmal die capella und danach eine liegende Acht in die Luft malte.
Karl runzelte die Stirn. Was wollte sie damit sagen? Sollte er Lucas nun doch herbeirufen lassen? Wo hatte er diese liegende Acht schon einmal gesehen?
Dann fiel ihm etwas ein, was auch ihn lächeln ließ. Der Omayyade Abdallah hatte dieses Zeichen unter eine Schrift gesetzt, in der er dem Frankenkönig unendliche Treue gelobt hatte. Er sandte einen Gruß nach Bagdad: Danke, Bruder Harun, dachte er, nicht nur der Vater dieses Geschöpfes war ein höchst willkommenes Geschenk. Hoffentlich sind meine Kampfhunde glücklich in deinem Reich angelangt und machen dir Freude. Ist alles gut gegangen, könnten sich meine Botschafter bereits auf dem Rückweg befinden. Er nickte Ezra freundlich zu.
»Du hast recht, Architectulus«, sagte er. »Wenn man für die Ewigkeit baut, für die Unendlichkeit, gleichen fünf Jahre einer winzigen Welle, die den Menschen am Rande eines Wasserbeckens bei einem kleinen Erdbeben über die Füße plätschert.«
Ezra hielt die Luft an. Doch als der König sein Gleichnis nicht weiter ausführte, atmete sie durch und wagte es endlich, sich mit dem Ärmel die Stirn abzuwischen.
»Fünf Jahre also«, sagte Karl schließlich mit strenger Miene. »Ich gebe euch keinen Tag länger. Aber wenn du an dieser Aufgabe weiter mitwirken sollst, hast du gewisse Bedingungen zu erfüllen. Setz dich wieder hin.«
Ezra gehorchte, dankbar, nicht mehr auf ihre immer noch zitternden Knie vertrauen zu müssen.
»Erstens bleibst du diese ganze Zeit über mein Architectulus«, begann der König. »Kommt mir zu Ohren, dass irgendjemand, ganz gleich wer, daran zweifelt oder es gar tatsächlich besser weiß, wirst du mit Schimpf und Schande fortgejagt. Zweitens, aber das ergibt sich ja aus der ersten Bedingung, verzichtest du auf … «, er räusperte sich, »… auf jenen Vorgang, der dich mit Nachkommenschaft belasten könnte. Derartige Folgen darf ich an meinem Hof nicht dulden. Und drittens, sieh mich an, Architectulus … «, er machte wieder eine Pause, ehe er fortfuhr, »… und drittens bleibt dir die Tür meines Badehauses Tag und Nacht und für alle Zeiten verschlossen. Erfüllst du diese Bedingungen, darfst du in Ruhe weiterarbeiten wie bisher und stehst unverbrüchlich unter meinem Schutz. Und jetzt kehre zu deiner Arbeit zurück.«
Ezra zog die Tür der kleinen Kammer leise ins Schloss und setzte sich zu Lucas auf den Rand des schmalen Bettes.
»Nun sag schon, was wollte er von dir?«, fragte Lucas ungeduldig.
»Er weiß alles«, raunte ihm Ezra zu.
»Alles? Was meinst du damit?«
Sie deutete an sich herunter.
»Über dich? Du meinst, er weiß, dass du … «
Ezra nickte. Lucas sprang auf und lief wie ein Tier im
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