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Die Gärten des Mondes

Die Gärten des Mondes

Titel: Die Gärten des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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Selbstvorwürfen beschäftigt, passierte der junge Dieb die Liebreiz-des-Anis-Straße.
    Die einst so felsenfesten Mauern einer Vorstellung vom gerechten Verbrechen, die er sich so viele Jahre lang in Gedanken aufgebaut hatte, begannen einzustürzen. Der verhasste Adel hatte ihm ein Gesicht gezeigt, das ihn nun mit seiner Schönheit verfolgte und in hundert unerwartete Richtungen zerrte. Die süßen Düfte der Gewürzläden, die wie Parfüm in der warmen Brise wogten, hatten unerklärlicherweise ein unbenennbares Gefühl in seiner Kehle erzeugt. Die Rufe spielender Kinder machten ihn wehmütig.
    Crokus durchquerte das Gewürznelken-Tor und betrat die Osserc-Enge. Direkt vor ihm erhob sich die Rampe, die in das Viertel hinaufführte, in dem sich die Stadtgüter der Adligen befanden. Kurz bevor er sie erreichte, musste er schnell zur Seite ausweichen, um einer von hinten herannahenden großen Kutsche aus dem Weg zu gehen. Er brauchte nicht erst das Wappen zu sehen, das die Seite der Kutsche schmückte, um das Haus zu erkennen. Die Pferde schnappten und keilten aus, stürmten ohne jede Rücksicht darauf, wer oder was sich in ihrem Weg befinden mochte, immer weiter. Crokus blieb stehen und sah zu, wie die Kutsche die Rampe hinaufratterte und die Menschen nach beiden Seiten davonsprangen. Nach allem, was er über Ratsherrn Turban Orr gehört hatte, schien es Crokus, als teilten die Pferde des Duellanten seine Verachtung für diejenigen,' denen er zu dienen vorgab.
    Als er das Stadthaus der Orrs erreichte, hatte die Kutsche bereits das äußere Tor passiert. Vier stämmige Wachposten hatten links und rechts des Tores Position bezogen. Die Mauer in ihrem Rücken war volle fünfzehn Fuß hoch, und ihre Krone war mit rostigen Eisenspitzen gespickt. Alle zehn Fuß waren Bimssteinfackeln angebracht. Crokus schlenderte am Tor vorbei und kümmerte sich nicht um die Wachen. An ihrer Basis schien die Mauer ungefähr vier Fuß stark zu sein; sie bestand aus den üblichen roh behauenen Steinen, die einen Fuß im Quadrat maßen. Er ging weiter die Straße entlang, wandte sich dann nach rechts, um die Mauer zu überprüfen, die auf das Seitengässchen hinausging. Gleich hinter der Ecke befand sich in dieser Mauer eine einzelne Dienstbotentür aus geteerten, mit Bronze beschlagenen Eichenbohlen.
    Und kein Wachposten. Der Schatten des gegenüberliegenden Besitzes hüllte den engen Durchgang in einen Mantel aus Dunkelheit. Crokus betrat das dunkle Seitengässchen. Die Luft war feucht und roch nach Moder. Er hatte die Gasse vielleicht zur Hälfte durchquert, als sich eine Hand von hinten auf seinen Mund legte und sich die Spitze eines Dolchs in seine Seite bohrte. Crokus erstarrte - und grunzte überrascht, als die Hand seinen Kopf herumdrehte. Er blickte in vertraute Augen.
    Rallick Nom nahm den Dolch weg und trat einen Schritt zurück. Eine tiefe Falte furchte seine Stirn. Crokus keuchte und leckte sich die Lippen. »Rallick! Bei Berus Herz, hast du mich erschreckt!«
    »Das ist gut«, sagte der Assassine. Er trat ganz nahe an Crokus heran. »Hör mir gut zu, Crokus. Du lässt die Finger vom Besitz der Orrs. Du kommst nicht einmal mehr in seine Nähe!«
    Der Dieb zuckte die Schultern. »War ja nur so ein Gedanke, Nom.«
    »Dann vergiss ihn schnell wieder«, sagte Rallick.
    Crokus presste die Lippen zusammen, bis sie nur noch einen dünnen Strich bildeten, und nickte. »In Ordnung.« Er drehte sich um und marschierte auf den Streifen aus hellem Sonnenlicht zu, der die nächste Straße kennzeichnete. Er fühlte Rallicks Blicke in seinem Rücken, bis er auf den Verräterweg hinaustrat. Er blieb stehen. Zu seiner Linken erhob sich der Hohgalgen-Hügel, ein makelloser, mit Blumen übersäter Hang, ein Kaleidoskop von Farben um die dreiundfünfzig in Serpentinen nach oben führenden Stufen herum. Die fünf Schlingen über der Plattform schaukelten sanft in der Brise; ihre Schatten streckten sich wie schwarze Finger zur gepflasterten Straße hinunter. Es war lange her, seit der letzte hochwohlgeborene Verbrecher gehängt worden war, während im Gadrobi-Viertels die Seile an den Niedergalgen jede Woche ausgewechselt werden mussten, weil sie ausgeleiert waren. Ein merkwürdiger Gegensatz, der jedoch typisch für diese Zeit voller Spannungen war.
    Abrupt schüttelte er den Kopf. Es war einfach zu anstrengend, den sich aufdrängenden Fragen auszuweichen. War Nom ihm gefolgt? Nein, viel wahrscheinlicher war, dass der Assassine Orr oder jemanden aus

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