Die galante Entführung
Unpäßlichkeit. Das bestürzte ihn. Selbst wenn sie sich schnell erholte, bedeutete es Aufschub, und Aufschub war genau das, was er sich nicht leisten konnte. Der Gedanke an eine mögliche Katastrophe lag ihm nicht. Er besaß den Glauben des echten Spielers an sein Glück, und die Erfahrung hatte ihn zu der Einstellung ermutigt, daß ihn – wenn ihn dieses Glück im Stich ließ – irgendeine unerwartete Schicksalsfügung aus seiner mißlichen Lage erlösen würde. Es hatten ihn jedoch schon mehrere unerfreuliche Mitteilungen erreicht, die selbst der eingefleischteste Optimist als Vorläufer von Klageschriften erkannt hätte. Und ein höchst beunruhigender Brief seines Sachverwalters hatte ihm die Nachricht übermittelt, daß der Verfall der Hypotheken auf seine Besitzungen unmittelbar drohte. Vielleicht zum erstenmal in seinem Leben lernte er panische Angst kennen, und einige verrückte Augenblicke lang spielte er mit dem Gedanken an eine Flucht auf den Kontinent. Noch während er sie erwog, hob sich seine Stimmung: Das Leben im Ausland winkte ihm mit seinen Reizen. Ein kluger Hasardeur, einer, der wußte, wieviel es geschlagen hatte, konnte ein Vermögen machen, wenn er in einem der halben Dutzend Städte, die ihm sofort einfielen, eine Spielhölle einrichtete. Nicht in Paris; nein, Paris nicht. Jetzt, da Napoleon auf St. Helena festsaß, traf man viel zuviele Engländer in Paris an, die sich vergnügten. Da hätte er ebenso gut – oder schlecht – ein solches Etablissement gleich in London errichten können. Es gab jedoch andere vielversprechende Städte, ziemlich weit entfernt, wo die Chancen, daß er von einem englischen Reisenden erkannt werden konnte, geringfügig waren.
Das war wichtig. Mr. Stacy Calverleigh, der von seinen Standesgenossen schief angesehen wurde, ja seit seinem katastrophalen Versuch, sich eine Erbin zu sichern, mehr als einmal ertragen mußte, direkt geschnitten zu werden, aber trotzdem darauf aus war, eine zweite Erbin zum Durchbrennen zu verführen, hatte doch noch nicht alles Gefühl dafür verloren, was er seinem Namen schuldete. Er schreckte vor dem Gedanken zurück, sich offen in den Besitzer einer Spielhölle zu verwandeln. Er hatte oft gedacht, was für eine prächtige Sache er daraus gemacht hätte, wenn es ihm möglich gewesen wäre, sich dieser Gilde anzuschließen. Er hatte seine Güter nie als etwas anderes als eine Schatztruhe betrachtet, in die er nach Belieben seine Hand stecken konnte. Die ihm eingeimpften Regeln seiner Erziehung jedoch waren ihm geblieben. Es gab einiges, was ein Calverleigh of Danescourt eben nie tun durfte. Und auf der Liste dieser Verbote stand obenan der einzige Beruf, in dem er seinem Gefühl nach hätte glänzen können.
Wenn man aber diesen Beruf ohne Wissen derjenigen ergreifen konnte, die ihn höchst verachtungsvoll verurteilen würden? Während seine Phantasie mit den Möglichkeiten einer solchen Situation spielte, glänzten seine Augen, und er begann sich eine rosigere und seinem geheimen Geschmack bei weitem entsprechendere Zukunft auszumalen, als sie sich ihm bisher je in einer anderen Form dargestellt hatte.
Das dauerte jedoch nur einige wenige, flüchtige Augenblicke. Um eine solche Laufbahn einzuschlagen, war es nötig, daß die Moneten stimmten – aber die Moneten stimmten nicht. Es gab keine andere Lösung für seine Schwierigkeiten, als eine reiche Heirat. Eine Heirat mit Fanny war nicht die ideale Lösung, aber eine in der Gazette und der Morning Post erschienene Bekanntmachung (er hatte sie bereits entworfen) seiner Heirat mit der einzigen Tochter des verstorbenen Rowland Wendover, Esquire of Amberfield, in der Grafschaft Bedfordshire, würde seine Gläubiger abwehren und konnte es Mr. James Wendover, gelinde gesagt, sehr schwer machen, die Verbindung abzulehnen.
Ein Besuch am Sydney Place zwecks Erkundigung und Ausdruck des Mitgefühls verstärkte diese hoffnungsvollere Ansicht nicht. Stacy wurde von der älteren Miss Wendover empfangen; sie nahm ihn mit ziemlich schuldbewußter Freundlichkeit auf, ihr Bericht über die Krankheit ihrer Nichte war jedoch nicht ermutigend. Mr. Miles Calverleigh hätte mit seiner leidenschaftslosen, jedoch klugen Fähigkeit, seine Mitmenschen auf einen Blick zu erkennen, diesen Bericht seinem wahren Wert entsprechend eingeschätzt. Mr. Stacy Calverleigh hingegen, völlig auf sich selbst konzentriert, bemerkte die Eigentümlichkeiten der Personen, mit denen er in Kontakt kam, nur dann, wenn sie
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