Die Galerie der Lügen
können mein Bett haben. Das Schlafzimmer ist am Ende der Wendeltreppe.« Er zeigte auf selbige. »Oben im Schrank müssten Sie auch saubere T-Shirts und andere Sachen finden. Nur für den Fall, dass Sie aus Ihren Klamotten herauswollen. Nichts für ungut, aber die sehen reichlich mitgenommen…«
»Ich dachte, ich hätte mich klar und verständlich ausgedrückt«, unterbrach sie ihn.
Der kühle Ton ihrer Stimme wirkte auf ihn wie ein Schwall kalten Wassers. Er fragte sich, was er dieser Frau getan hatte, dass sie so auf Distanz zu ihm ging.
Darwin holte Luft, um zu einer Erwiderung anzuheben, aber dann fiel ihm wieder ein, was die Ärmste in den letzten zwei Wochen alles durchgemacht hatte: Sie war unter Mordverdacht verhaftet worden, hatte sechs Nächte im Knast verbracht, wäre beinahe erstochen worden, hatte dann selbst eine Frau tödlich verletzt, die womöglich ihre eigene Mutter war, und spürte noch die Explosion in den Knochen, der sie nur mit knapper Not entronnen war.
Er atmete wieder aus und sagte mit einer Ruhe, für die er sich selbst bewunderte: »Ich rufe Lucy an, meine kleine Schwester, und quartiere Sie vorübergehend bei ihr ein. Sie wohnt in der Copperfield Street. Ist hier gleich um die Ecke. Wenn Sie sich in der Zwischenzeit etwas frisch machen wollen – Bad und Toilette finden Sie am Ende des Flurs auf der rechten Seite. Wundern Sie sich nicht: Die Tür klemmt, sie schließt nicht richtig. Falls Ihnen Unisex-Mode nichts ausmacht – das Angebot bezüglich meiner exzellenten Garderobe oben im Kleiderschrank steht immer noch.« Er grinste.
Daniels sah ihn aus unbewegter Miene an. Dann bedankte sie sich.
»Ich telefoniere in der Küche, damit Sie sich hier ungestört bewegen können. Also, bis gleich.«
Darwin schnappte sich das Mobilteil seines Schnurlostelefons. Es war ein strategischer Rückzug, der mehr ihm als Daniels diente. Lucy zu überreden würde ein hartes Stück Arbeit sein.
Er schloss hinter sich die Tür, so weit es ging – in dem alten Haus waren alle Rahmen verzogen. Das kalte Messing des Griffs schien seinen Harndrang neu zu stimulieren. Vielleicht hätte er doch zunächst selbst die Toilette aufsuchen sollen, bevor er den verschwiegenen Ort einer Frau überließ, die sich ständig an den Haaren herumzupfte.
Darwin drängte sein Versäumnis zu Seite und konzentrierte sich auf das Naheliegende. Nachdem er die Nummer seiner Schwester gewählt hatte, musste er n icht elendig lange Rufzeichen abwarten, bis sich endlich ihre helle Stimme meldete. Lucy war zwar schon sechsundzwanzig, aber sie hörte sich immer noch wie eine Sechzehnjährige an.
»Hallo, hier spricht Lucy Ashby.«
»Und hier meldet sich dein großer Bruder.«
»Darwin! Seit wann führst du wieder Privatgespräche?«
»Mea culpa! Ich hab mein Schwesterlein vernachlässigt, ich weiß, aber in letzter Zeit war ziemlich viel los.«
»Die Einbruchsserie?«
»Ja. Ehrlich gesagt, ist auch mein jetziger Anruf nicht ausschließlich privater Natur…«
»Nein.«
»Wie bitte? «
»Was immer du von mir willst, meine Antwort lautet: › Nein! ‹ «
Mit dieser Reaktion hatte er gerechnet. Darwin überkreuzte die Beine, um dem Druck entgegenzuwirken. »Hör mal, es geht um Alex Daniels. Sagt dir der Name etwas?«
»Die Journalistin, die man unschuldig verhaftet hat?«
»Genau. Du wirst nicht glauben, was ich dir jetzt erzähle.«
Auch nach hinlänglich dramatischer Schilderung der jüngsten Ereignisse war Darwins Schwester wenig begeistert von dem Vorschlag, ihr einen Logiergast unterzujubeln. Er musste alle Überredungskunst aufwenden, um Breschen in Lucys Bollwerk der Ablehnung zu schlagen. Unterdessen nahm der Drang seiner Blase stetig zu. Während er mit seinem »Schwesterherz« die Kapitulationsbedingungen aushandelte, hört er die Badezimmertür quietschen. Endlich war Daniels fertig! Vor Erleichterung hätte er sich fast in die Hosen gemacht.
Aber warum tauchte sein Gast nicht in der Küche auf? War er etwa doch ins Schlafzimmer hinaufgestiegen, um sich an seinem Kleiderschrank zu bedienen? Die Vorstellung war Darwin nicht unangenehm.
»Also meinetwegen«, sagte endlich Lucy. Ein resignierender Ton schwang in ihrer Stimme. »Bring deine Chefberaterin vorbei. Ein oder zwei Nächte werden wir es schon miteinander aushalten – vorausgesetzt, sie ist so nett, wie du sagst.«
»Noch viel netter. Du wirst staunen. Danke, Schwesterherz. Fühle dich von mir geküsst.«
»Kannst mich nachher drücken. Das
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