Die Galerie der Lügen
oben reckten sich die Gestänge der Baugerüste den Knochen eines Ungetüms gleich dem Himmel entgegen.
»Sieht wie das Original aus«, erklärte Boumans.
Darwin blinzelte. Der Doktor hatte Recht. Es galt, die Ruhe zu bewahren und einfach abzuwarten. Im Zurücklehnen murmelte er: »Sie können wieder auf die Totale gehen, Jeff.«
»Uooond Action«, sagte Blackwater und zog das Zoomobjektiv wieder auf.
»Da! Bei den van Goghs rührt sich was«, sagte plötzlich einer der Wachmänner, die links von Darwin saßen. Alle Blicke richteten sich auf dessen Monitor. Darwin erstarrte. Für eine, höchstens zwei Sekunden wanderte eine Person durchs Bild. Unter der vorne offenen Jacke des Sicherheitsdienstes trug sie ein blaues, ausgewaschenes, ihm sehr vertrautes Sweatshirt mit dem Emblem der Toronto Blue Jays. Sie grinste höhnisch ins Kameraobjektiv.
Es war das Gesicht von Alex Daniels.
Die Alarmsirene wischte Darwins Starre beiseite. Professionelle Betriebsamkeit brach aus. Gaemers und sein Gegenpart von der hauseigenen Sicherheitstruppe bellten Anweisungen in ihre Funkgeräte. Darwin kannte den Einsatzplan. In diesem Moment würde die Polizei sämtliche Eingänge des Gebäudes besetzen. Er war immer noch benommen. Alex? Trotz des Sweatshirts und des vertrauten Gesichts kam ihm irgendetwas falsch vor.
»Da stimmt was nicht.«
Er griff sich ein Walkie-Talkie, warf Blackwater die Worte »Kanal acht« zu und rannte aus dem Kontrollraum. Einige Anwesende schüttelten die Köpfe.
Infolge der gründlichen Vorbereitung kannte sich Darwin gut genug in dem Museum aus, um die Bilder auf den Monitoren einzelnen Sektoren im Komplex zuordnen zu können. Fast alles spielte sich zu ebener Erde ab. Wie große Schuhkartons waren die einzelnen Gebäudeteile ineinander verschachtelt. Die Übergänge konnten mit beweglichen Sperrwänden verschlossen werden. Man hatte sie offen gelassen, um die Maus in der Falle zu fangen. Vielleicht war das ein Fehler gewesen.
Er rannte in Richtung Café teria über grauen Boden an weißen Wänden vorbei – das Museum war schlicht gehalten, damit nichts von den Meisterwerken ablenkte. Und trotzdem bedrückte ihn das Gefühl, einer Fälschung nachzujagen. Er lief nach links in die Ausstellung mit den van Goghs, vorbei an den Wäscherinnen, der Straße mit Zypressen, der Café terrasse bei Nacht…
Plötzlich blieb Darwin stehen.
Was tat er da? Die van Goghs waren zwar ebenfalls bei ArtCare versichert, aber Alex hatte sie – aus Sicht des »Gehirns« – niemals auch nur in Erwägung gezogen. Ein Ablenkungsmanöver? Er drückte die Sprechtaste des Funkgeräts.
»Jeff, sind Sie noch im Kontrollraum?«
»Wo sollte ich sonst sein? Ich kann Sie sehen, Darwin. Aber die Blondine scheint sich in Luft aufgelöst zu haben.«
»Genau das ist ja der Zweck der Sache. Was macht der van Cleef?«
»Warten Sie…«
Darwin hörte ein klapperndes Geräusch, das aus der Tiefe des Kontrollraumes ins Sprechfunkgerät drang. Vermutlich schob der schottische Terrier seinen Bürostuhl mit der eiernden Rolle wieder zu dem Monitor zurück, hinter dem er eigentlich sitzen sollte. Gleich darauf drang ein schottischer Fluch aus dem Lautsprecher.
»Reden Sie mit mir, Jeff! Was ist passiert?«, rief Darwin ins Mikrofon.
»Der Turm von Babel…«, krächzte es im Lautsprecher.
Darwin wirbelte herum und rannte zurück, aus dem Van-Gogh-Trakt heraus nach rechts und gleich darauf nach links in den nördlichen Gebäudeteil, der Hendrick van Cleefs Gemälde beherbergte. Wie in vielen Museen üblich, waren auch hier die Ausstellungsräume in kleinere, auf einer Seite offene Kabinette untergliedert. Der Bau des Turms von Babel hing in einem versteckten Winkel im vorderen Teil des Traktes. Darwin wandte sich abermals nach rechts. Obwohl er längst ahnte, was ihn in dem Kabinett erwarten würde, durchfuhr ihn der Schreck dennoch wie ein Blitz.
Anstelle des Turmbaus zu Babel befand sich, wie zur Verhöhnung der geballten Schutzmacht aus Polizei und Sicherheitsdienst, ein anderes Gemälde im Rahmen. Offensichtlich war es neueren Datums und sein künstlerischer Wert zweifelhaft. Es zeigte einen Bowler, jenen runden, steifen Herrenhut, wie ihn der Surrealist Rene Magritte so gerne in seine Bilder gemalt hat.
Auf dem Boden unter dem opulenten Goldrahmen lag eine steinerne Schleife.
Darwins Arm fühlte sich an wie Blei, als er ihn hob, um abermals ins Funkgerät zu sprechen. »Der van Cleef ist verschwunden.«
»Wir sehen’s«, gab
Weitere Kostenlose Bücher