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Die Galerie der Nachtigallen

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Titel: Die Galerie der Nachtigallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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herumgeschnüffelt zu haben. Im
Zimmer meines Bruders stehen einige Kästen. Er stellte fest,
daß bei einem der Deckel aufgebrochen war, daneben lag ein
Silberknopf von Bramptons Wams. Brampton bestritt
selbstverständlich den Vorwurf, und der Streit zog sich den
ganzen Tag hin.«
    »Brampton
saß also schmollend in seiner Kammer, kam nicht zum Bankett,
sondern zog sich zur Nacht zurück - aber nicht, ohne zuvor
einen Becher Wein in das Schlafgemach seines Herrn zu
tragen?«
    »So sieht es
aus.«
    Cranston war nun sanft
eingenickt; sein Kopf kippte zur Seite, und sein sanftes Schnarchen
sprach für eine stattliche Menge Alkohol. Athelstan ignorierte
die belustigten Blicke der Gesellschaft, schob sein Schreibtablett
von sich und versuchte, Haltung zu bewahren.
    »Das verstehe
ich nicht«, sagte er. »Brampton streitet mit Sir
Thomas, der ihn beschuldigt, in seinen Privatpapieren
herumzuwühlen?«
    »Ja.« Sir
Richard nickte und beobachtete ihn wachsam. »Brampton
stürmt hinaus, bringt aber später einen Becher Wein
hinauf. Eine freundliche Geste?«
    »Nicht, wenn er
vergiftet war!« quiekte Allingham. »Der Becher war ja
vergiftet.«
    Athelstan fühlte
sich wie in einem Sumpf. Die Zuhörer rings um den Tisch
machten sich wortlos über ihn lustig; sie verachteten Cranston
als Trunkenbold und ihn als unwissenden Klosterbruder.
    »Wer war
dabei«, fragte er, »als Sir Thomas tot gefunden
wurde?«
    »Ich«,
antwortete Sir Richard. »Und natürlich Pater Crispin.
Master Buckingham kam ebenfalls herauf.«
    »Und ich«,
knirschte Allingham.
    »Ja, das
stimmt«, bestätigte Sir Richard.
    »Ihr habt also
nach dem Arzt geschickt?«
    »Ja, wie ich
schon sagte.«
    »Und
dann?«
    »Ich habe den
Leichnam angekleidet«, erbot sich Pater Crispin. »Ich
habe ihn gewaschen, getan, was ich konnte, Sir Thomas das
Sterbesakrament gespendet und ihm Hände, Gesicht und
Füße gesalbt. Vielleicht erinnert Ihr Euch, Bruder, daß es
Theologen gibt, Dominikaner zumal«, der Priester
lächelte schmal, »die behaupten, daß die Seele den
Körper erst einige Stunden nach dem Tode verlasse. Ich betete
zu Gott, er möge Erbarmen mit Sir Thomas’ Seele
haben.«
    »Hatte Sir
Thomas Erbarmen nötig?«
    »Er war ein
guter Mann«, versetzte Pater Crispin scharf. »Er hat
Kapellen gestiftet, den Armen Geld gegeben, Speisen austeilen
lassen und sich um Witwen und Waisen
gekümmert.«
    »Ich bin sicher,
dann wird der Herr sich seiner erbarmen«, sagte Athelstan
leise. »Nun zu Brampton. Ihr habt nach ihm
gesucht?«
    »Ja«,
antwortete Sir Richard schnell. »Wir hatten den Verdacht, er
könnte etwas damit zu tun haben; also durchsuchten wir seine
Kammer. Wir fänden eine kleine, mit einem Korken verschlossene
Phiole in einer Truhe unter einigen Kleidern. Ein Dienstbote ging
damit zu Peter de Troyes, und der stellte fest, daß sie die
gleiche Mixtur enthielt, die er auch im Weinbecher meines Bruders
gefunden hatte. Danach fingen wir an, Brampton zu
suchen.«
    »Ich habe den
Leichnam gefunden«, unterbrach Vechey ihn. »Ich sah,
daß die Tür zum Dachboden halb offenstand. Also ging ich
hinauf.« Er schluckte. »Da hing Brampton.« Ein
Schauder überlief ihn. »Es war furchtbar. Die Dachkammer
war leer und kalt. Es roch schrecklich. Brampton hing da wie eine
zerbrochene Puppe, wie ein Kinderspielzeug; sein Hals war verrenkt,
sein Gesicht schwarz, und die Zunge hing ihm aus dem
Mund.«
    Er nahm hastig einen
Schluck Wein.
    »Ich schnitt ihn
ab und löste die Schlinge, aber er war tot. Der Leichnam war
kalt und steif.« Flehentlich schaute er Sir Richard an. »Er
liegt immer noch da. Man muß ihn entfernen!«
    »Sagt
mir«, forderte Athelstan die Runde auf, »wohnt Ihr alle
hier?«
    »Ja«,
antwortete Sir Richard. »Master Allingham ist Junggeselle.
Master Vechey ist Witwer«, er grinste, »hat aber noch
ein Auge für die Damen. Dies ist ein großes Haus; es hat
vier Stockwerke und ist um einen Innenhof herum gebaut. Sir Thomas
sah keinen Grund, weshalb seine Geschäftspartner nicht im
selben Haus wohnen sollten. Grundstücke, Häuser, das
alles ist im Wert gestiegen, und angesichts der königlichen
Steuern ...«
    Athelstan nickte
verständnisvoll und versuchte, seine Enttäuschung zu
verbergen. Hier gab es nichts. Überhaupt nichts. Ein Kaufmann
war getötet worden, sein Mörder hatte sich
erhängt.
    Gleichzeitig aber
spürte Athelstan etwas. Diese Leute waren aufgeblasen,
arrogant, selbstsicher. Wie Gockel stolzierten sie durch die
Straßen, voller Vertrauen

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