Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
aus dem Geschlecht der Calas über uns herrscht.« Er beäugte Sarah und schob das Kinn vor. »Und etwas sagt mir, daß dieses Mädchen seinen Verwandten folgen wird.«
Als befände sie sich in einer Art Trance, spürte Sarah nur vage die Mischung aus Furcht und Neugier, mit der die Männer sie betrachteten. Der Vortex der Schwärze zog sich zu einer murmelgroßen Kugel zusammen, die von einer gewaltigen, himmelblauen Aura umgeben war. Sarah empfand ein merkwürdiges Gefühl, als würde sie durch die wirbelnde Schwärze auf den blauen Himmel einer anderen Welt schauen. Wo hatte sie dieses Gefühl schon einmal gespürt? So als stünde sie auf der Schwelle des von der Zeit abgenutzten Tores zur Ewigkeit? Ihr Verstand durchwühlte ihre Erinnerungen, und eine Flut von Bildern und Sehnsüchten drohte sie zu ersticken.
Instinktiv sprang sie auf und lief zum Rand des wirbelnden Vortex. »Wer bist du? Sag mir, was du von mir willst!«
Erstauntes Gemurmel erklang rings um das Feuer, als die Männer zu erkennen versuchten, worauf Sarah schaute.
»Wer ist da?« rief jemand. »Ein Eindringling? David, Sholem, hier herüber!«
Herabgefallene Äste zerbrachen unter den Tritten eiliger Stiefel, und das schabende Geräusch von Waffen, die aus ihren Holstern gezogen wurden, war zu hören.
»Nein.« Yomas ruhige, befehlsgewohnte Stimme brachte den Aufruhr zum Verstummen. »Sie schaut nicht auf die Welt, die wir sehen.«
»Wovon redest du?«
»Sei still und warte!«
»Worauf?«
»Es heißt, der alte Zadok sei fähig gewesen, die sieben Himmel zu durchschreiten, um mit Gott zu sprechen.«
»Hokuspokus! Du glaubst das doch nicht etwa, oder?«
»Ich werde jedenfalls nicht hier herumsitzen und zusehen, wie sie uns Angst einzujagen versucht, damit wir glauben, sie besäße irgendwelche unheimlichen Kräfte, die ihr Autorität über uns verleihen. Ich sage, wir verschwinden jetzt.«
»Bei Gott!« Yomas Stimme schwoll zu erheblicher Lautstärke an. »Wenn du noch einmal von deinem Platz aufstehst, Ezra, dann werde ich …«
»Schon gut, verdammt! Ich bleibe sitzen. Aber ich halte das alles nur für einen Trick. Oder siehst du dort drüben irgend etwas?«
»Nein.«
Tränen traten in Sarahs Augen, als ein Ton wie das Rauschen von Wind, der durch trockenes Gras streift, aus der blauen Aura drang. Tief in ihrem Innern glaubte sie eine Stimme zu vernehmen, die darum kämpfte, zu ihr sprechen zu können, doch sie konnte die einzelnen Worte nicht verstehen. Sie zwang ihre zitternden Beine vorwärts, bis sie dicht am Rand eines Abgrunds stand, der zu einem Wirbel onyxfarbenen Wassers führte. »Ich … ich kann dich nicht verstehen.«
Das Rauschen verklang und wurde durch eine von solcher Leere erfüllten Stille ersetzt, daß Sarahs Seele erschauerte. Sie streckte zögernd die Hand aus, konzentrierte sich auf die blaue Kugel und keuchte: »Gib mir das Mea. Es gehört mir. Du hattest kein Recht, es zu nehmen. Mein Volk braucht es!«
Die Dunkelheit wallte auf. Sarah kam es so vor, als hätte sie einen kurzen Blick auf eine wirbelnde Robe erhascht, etwa so, als würde sich jemand umdrehen, um wieder zurückzugehen. Zurück wohin?
Im nächsten Moment brach der Vortex zusammen, und nichts als flüsternde Bäume und dunkle Felsen umgaben sie. Hinter sich hörte sie Nahor herausplatzen: »Allmächtiger Gott, die Frau ist irre! Vielleicht sogar von einem der Dämonen besessen, die ihre Schwester getötet haben!« Er machte eine nachdenkliche Pause und fuhr dann fort: »Ja, vielleicht ist es genau das. Hat sich einer von euch das mal überlegt? Das ist der Grund, weshalb sie noch nicht in Stücke gerissen worden ist. Sie steht auf Aktariels Seite! Laßt uns schnell von hier verschwinden! Rasch!«
Sarah hob eine zitternde Hand zum Mund und unterdrückte ein Schluchzen. Hatte der in der Finsternis lauernde Dämon diesen Augenblick für sein Erscheinen ausgewählt, weil er wußte, daß sie dadurch in Mißkredit geriete? Was konnte sie jetzt noch tun, um diese zersplitterten Teile der gamantischen Zivilisation wieder zusammenzuführen? Leise Schritte erklangen auf den Tannennadeln. Sarah sah, wie Zeb Yoma näherkam. Er blieb neben ihr stehen und schaute furchtsam in die Richtung, in die sie zuvor geblickt hatte. Der Geruch von Sand und Rauch, Pferden und Tabak hing in seinen Kleidern.
Er stand eine Weile schweigend da und flüsterte dann: »Was haben Sie dort gesehen?«
Sarah schaute zu ihm auf. Seine grünen Augen wirkten angespannt und
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