Die Gamant-Chroniken 03 - Die Prophezeiung von Horeb
Himmel schwebten. Sie und Mikael hatten das Mea zwischen ihren Stirnen gehalten und sich geküßt – und ein Krieg hatte geendet. Die Geräusche von Kampf und Schmerz waren verstummt.
»Gibt es irgendwelche Nachrichten von Onkel Yosef oder Ari?« erkundigte sich Mikael.
»Ja, Yitsa hat gesagt, sie wären vor vier Tagen aufgebrochen. Du weißt ja, wie sie sind. Wahrscheinlich laufen sie herum wie Kinder, die einen neuen Spielplatz entdeckt haben, während sie nach dem genizah suchen.«
Mikael lächelte schwach. »Vermutlich. Manchmal denke ich, sie interessieren sich zu sehr für die Bücher, die deine Mutter vor zwölf Jahren entdeckt hat.«
»Ich weiß nicht recht. Tief in meinem Innern glaube ich, sie enthalten den Schlüssel, um die Magistraten zu vernichten. Mama sagte, sie berichteten von der Konstruktion von Palaia Station.« Sybils Magen verkrampfte sich wie stets, wenn sie von ihrer Mutter sprach. Zum letztenmal hatte sie ihre Mutter auf Palaia Station gesehen. Das war vor zwölf Jahren gewesen. Rachel war aus dem Nichts aufgetaucht, hatte Sybil umarmt, ihr versichert, sie hätte sie sehr lieb, und war wieder verschwunden. Sybil vermißte sie noch immer. Insgeheim glaubte sie, ihre Mutter sei tot, auch wenn sie es nicht über sich brachte, diesen Gedanken laut auszusprechen. »Wenn wir diese Bücher in die Hände bekommen können, finden wir vielleicht einen Weg, wie wir in Palaia eindringen und die Regierung besiegen können.«
»Und das gamantische Volk für alle Zeiten befreien.« Mikael ließ seinen Blick über den prachtvollen Wandteppich schweifen, der neben dem Bett hing. »Ich hoffe nur, daß wir es bald schaffen. Ornias’ jüngste Anordnungen erschrecken mich zutiefst. Seine Forderung, wir sollten alle Kinder unter sieben Jahren ausliefern, klingt schon nach Wahnsinn.«
»Ja, seine Anordnung hat jeden hier unten schaudern lassen.«
»Hast du gehört, was Lin mir erzählt hat?«
Sybil schüttelte den Kopf. Der arme Linish Krioth. Sein halbwüchsiger Sohn Jehudah war bei der letzten Schlacht in Gefangenschaft geraten. Erst zwei Monate zuvor hatte Lin seine Frau verloren. Vor Kummer und Schmerz war er fast verrückt geworden.
Mikael holte tief Luft. »Er sagte, Ornias hätte Gerüchte ausgestreut, wonach er vorhätte, alle Kinder in den Gärten des Palastes aufzustellen und erschießen zu lassen. Aber ich kann das nicht glauben. Sicher, er hat in den vergangenen Jahren Tausende von Erwachsenen töten lassen, aber Kinder? Die Magistraten haben seine Brutalität jahrelang eingedämmt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie es jetzt zulassen …«
»Ornias braucht ihre Erlaubnis auch nicht. Er glaubt, er hat uns eingekesselt. Jetzt muß er uns nur noch ins Freie locken, um uns endgültig zu erledigen. Und wenn er das schafft, werden die Magistraten sich bestimmt nicht darum scheren, welche Methoden er angewandt hat. Vor zwölf Jahren hat er mitten in der Hauptstadt Seir ein Massaker unter den Alten Gläubigen angerichtet. Und damals waren auch Kinder dabei.« Ihre Finger verkrampften sich um die Bettdecke. »Vielleicht hat aber auch Slothen seine Politik geändert. Hast du daran schon gedacht? Vielleicht kommt dieser Schlachtkreuzer nur her, um Ornias freie Hand bei der Zerschlagung unserer Rebellion zu geben. Wir müssen die Babys hier herausschaffen.«
Mikael strich ihr über den Rücken. »Ich habe schon damit begonnen, entsprechende Pläne zu entwickeln. Morgen stelle ich das Einsatzteam zusammen. Die Leitung will ich Jonas, Yehud und Dara übertragen. Was wirst du …«
»Ich gehe auch.«
Mikaels Armmuskeln spannten sich. »Nein, das wirst du nicht. Dazu bist du gar nicht mehr in der Lage, Sybil. Wenn es Schwierigkeiten gibt, kannst du nicht schnell genug laufen oder reagieren …«
»Ich will ja auch gar kein Mitglied des Einsatzteams werden. Aber ich kann als Späher dienen. Ich verstecke mich oben in den Bergen und gebe euch Zeichen, wenn Gefahr droht.«
»Nein! Bitte, bleib um meinetwillen hier, wo ihr, du und unser Sohn, in Sicherheit seid. Bitte, um meinetwillen.«
Sybil drückte sanft seine Hand. »Gerade unseres Sohnes wegen muß ich gehen, Mikael. Als du fort warst, habe ich vom Angriff auf den Palast geträumt und … daß du verwundet wirst.« Tränen traten ihr in die Augen. Sie liebte Mikael, seit sie ein Kind gewesen war, und sie konnte den Gedanken nicht ertragen, ihren Sohn ohne ihn aufziehen zu müssen. »In dem Traum bin ich nicht da, Mikael. Ich bin nicht da! Ich
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