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Die Gassen von Marseille

Die Gassen von Marseille

Titel: Die Gassen von Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilles Del Pappas
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recht habe. Sie nicht?«
    »Doch, natürlich. Aber es ist vier Uhr morgens!«
    Ein sadistisches Lächeln umspielt meine Lippen.
    »Vier Uhr morgens … Hoffentlich hole ich Youssef aus dem Bett … Er hat die Schlüssel zu meinem alten Labor.«
    Klingeling, klingeling …
    Sofort hebt jemand ab.
    »Hallo?«
    Nein, ich habe niemanden aus dem Bett geholt.
    »Youssef! Ich bin’s, Constantin.«
    »Constantin? Klasse, Alter, kommst du vorbei? Ich habe zwei deutsche Freundinnen hier, wir wollten gerade ins Bett gehen. Interessiert? Hier liegt gewaltig was in der Luft, Junge …«
    Es ist mir peinlich, dass unser Gespräch aus dem Lautsprecher tönt.
    »Youssef … Deine zwei Deutschen sind mir egal. Ich muss ins Labor …«
    »Kein Problem, Kleiner, die Schlüssel liegen immer noch am selben Platz, im Briefkasten.«
    »Danke, Youssef. Übrigens, was ist mit dem Entwickler? Nicht zu vergammelt?«
    »Der ist ganz frisch, du kannst gleich loslegen!«
    »Alles klar, mach’s gut, und vielleicht klappt’s ja beim nächsten Mal mit deinen Deutschen …«
    »Keine Ursache, Kleiner, gute Nacht. Aber es ist echt schade, die eine, Birgit, wäre echt dein Typ. Dünn …«
    Ich lege auf und lasse Claudias spöttischen Blick über mich ergehen.
    »Eine dünne Deutsche! Merkwürdige Vorlieben für einen Spartaner …«, bemerkt sie.
    »Kennen Sie Youssef nicht?«, setze ich zu einer Erklärung an.
    Claudia verzieht angewidert ihre Miene.
    »Nein, und ich lege auch keinen Wert darauf, ihn kennenzulernen!«
    »Das ist ein Fehler. Youssef ist Ägypter, charmant, hübsch und sehr nett … Außerdem hat er mehr für die deutsch-französische Aussöhnung getan als irgendjemand sonst. Er steht auf gut bestückte, runde Frauen. Heutzutage ist das selten genug. Alle halten Diät, die Frauen sehen aus wie wandelnde Zahnstocher … Vor Youssef gab es eine ganze Kategorie von Frauen, die sich sehr zurückgesetzt gefühlt haben. Dank ihm hat ein großer Teil der Menschheit wieder einen Grund zu leben.«
    Sie lacht.
    »Gehen wir?«
    »Wohin denn?«
    »Zurück zum Panier. Montée des Accoules, in mein altes Atelier …«
    Ehe wir uns auf den Weg machen, trifft Claudia alle nötigen polizeilichen Vorkehrungen. Kurzer Blick in den Flur, kein Licht, Kanone in der Hand, ich komme mir vor wie in einem Krimi. Aber bin ich das nicht auch? Ich mache mich über sie lustig.
    »Starsky?«
    Sie spielt mit.
    »Okay, Hutch! Go!«
    Wir fahren Richtung Gare Saint-Charles und dann an dem Bahnhof vorbei, der ganze Generationen von Provenzalen zum Träumen gebracht hat. Natürlich nicht in demselben Maß wie der Hafen.
    In der Verlängerung der mit monumentalen barocken Skulpturen geschmückten Treppe liegt Marseille zu unseren Füßen. »Pforten des Orients«, heißen sie, »Afrikanische Kolonien«, »Griechische Kolonien« oder »Asiatische Kolonien«.
    Na ja …
    Trotzdem hat das Arrangement einen gewissen Charme …
    Claudia fährt über den Boulevard des Dames, dann durch die Rue Caisserie. Wir kommen am Hôtel de Cabre vorbei, dem ältesten Gebäude der Stadt, das sich dadurch auszeichnet, dass es mit Hilfe einer Winde um neunzig Grad gedreht worden ist.
    Und dann sind wir bei mir. Ich hole die Schlüssel aus ihrem Versteck und öffne das Gitter meines alten Ladens. Das Labor hat sich nicht verändert, seit ich es verlassen habe. Da ist immer noch die Bar mit dem Kaffeeautomaten, das Sofa, auf dem ich oft eingeschlafen bin, wenn es mal wieder spät wurde. Die Flaschen mit Alkohol, die Bilder der Marseiller Künstler, die ich im Laufe der Zeit auf dem Flohmarkt aufgestöbert habe. Mit einem Schlag fühle ich mich um ein paar Jahre verjüngt.
    »So. Sie können es sich bequem machen. Ich brauche ungefähr eine Stunde, wenn ich nicht allzu sehr aus der Übung bin … Legen Sie sich hin, oder machen Sie sich einen Kaffee …«
    »Wollen Sie auch einen?«
    »Ja, gerne.«
    Ich betrete die Dunkelkammer durch die Lichtschleuse, nehme den Plastiküberzug von dem russischen Vergrößerer und mache mich an die Arbeit. Es ist schon lange her, seit ich zum letzten Mal mit einem Vergrößerungsgerät gearbeitet habe. Ich mag das. Der Geruch von Bisulfit und Plastik, das schwache Licht der Dunkelkammerleuchte, das Gluckern des Abflusses, das Ticken der Schaltuhr, die Oberfläche des Fotopapiers unter meinen Fingern … Hier habe ich einen Großteil meines Berufs gelernt. Fehler bei der Ausschnittwahl, der Belichtung, der Tiefenschärfe … im Labor kommen alle technischen

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