Die Gassen von Marseille
nimmt meine Hand und legt sie auf ihre Brust. Ich spüre, wie ihre Brustwarze sofort hart wird.
»Na, was sagst du? Bin ich zu dünn?«
»Ich weiß nicht … Das, was ich da in der Hand halte, ist ganz offensichtlich nicht zu dünn. Ich würde sogar sagen, es ist in Topform … Hat Format. Aber was ist mit dem Rest?«
Sie wirkt zornig.
»Der Rest? Komm mit!«
Sie zieht mich grob hinter sich her, sodass ich fast hingefallen wäre.
Fahrig stochert sie in einem Schloss herum, die Tür geht auf. Sie schubst mich ins Zimmer und wirft mich gegen das Bett. Ihr Körper presst sich an meinen, und nun spüre ich tatsächlich jede Menge Hügel, Mulden, Täler … Mit Bächen auf dem Grund und … so weiter und so fort.
Doch auf einmal macht sie sich abrupt von mir los und öffnet das Fenster.
»Komm!«
Ich sehe, wie sie verschwindet, unterdrücke einen Aufschrei und renne ans Fenster. Die Nacht wird schon blasser. In höchstens einer Stunde ist es hell. Unser Hotel liegt an der Canebière, genau über dem Kino. Auf Höhe unserer Etage zieht sich an der Fassade ein Regenschutz entlang. Alix spaziert darauf herum. Die Aussicht ist herrlich. Rechts die riesige graue Reformiertenkirche mit ihrer erleuchteten Rosette und links die Lichter der Straßenlaternen, die sich die ganze Canebière entlang bis zum Alten Hafen hinunterziehen.
In den Buden, die auf der linken Seite der Canebière aufgebaut sind, stehen die provenzalischen santons. Die Marseiller Familien versuchen traditionell, sich gegenseitig an Fantasie zu übertreffen und die schönste Krippe aufzustellen.
Man findet darin natürlich das Jesuskind in weißen Windeln, Maria und Josef, die neben ihm knien, die drei Heiligen Könige Kaspar, Melchior und Balthasar, den Esel und den Ochsen. Aber auch den Engel Boufaréu, der am Gewölbe der Krippe hängt und mit dicken Backen in seine Trompete bläst, um von der Geburt des Kleinen zu künden. Den hingerissenen Idioten mit seinen erhobenen Armen, die Hirten, den Blinden und seinen Sohn, den Zigeuner, das alte Bürgerpaar Margarido und Jourdan, den Bürgermeister, den Müller, den Messerschleifer Pimpara, die beiden mit Geschenken beladenen Knechte Pistachier und Giget, Gardians aus der Camargue, den Fischermeister, der seine Mütze abnimmt, die Waschfrau, den Jäger und seine Hunde, den Tamburinspieler und noch viele andere.
»Gefällt es dir?«
Aber wir wollen uns doch jetzt anschicken, ein anderes Mysterium zu erleben … Das des unschuldigen Opfers der Liebe.
Sie begeistert sich am Anblick der Straße.
»Fantastisch!«
Hin und wieder kommt ein Auto die Canebière entlang und fährt an uns vorbei, während wir da oben auf unserem Vorsprung hocken. Sie zieht mich an sich und legt sich auf das Dach.
»Lass es uns hier tun«, flüstert sie mir ins Ohr.
»Hier?«
»Ja, hier. Mitten auf der Straße.«
Und genau das machen wir … Gefangen in unserem Rausch. Es ist ein herrliches Gefühl, Tabus zu brechen. Ein Gefühl der Macht, wir sind die Könige der Welt.
Aber nach einer Weile sind die Könige der Welt halb erfroren. Je mehr die Wirkung des Alkohols nachlässt, desto stärker macht sich die trockene Dezemberkälte bemerkbar. Schließlich klettern wir zurück ins Zimmer und widmen uns drinnen weiter unseren amourösen Spielen. Sex mit Alix erinnert an alte griechische Ringwettkämpfe.
Ich weiß noch, wie ausdauernd diese girelle war.
Nach mehreren Stunden versuche ich erschöpft, meine Gefährtin zum Ausruhen zu überreden. Aber sie will nichts davon hören.
»Ich bin doch noch gar nicht gekommen!«
Also alles noch mal von vorn, bis ich in ein halb dem Alkohol, halb der Erschöpfung geschuldetes Koma falle. Einen tiefen, traumlosen Schlaf …
Philippe rührt mit dem Löffel in seinem leeren Glas.
Ich bin mit meiner Geschichte fertig. Eine Weile sitzen wir wortlos da, ich in Gedanken noch bei Alix, er in seine polizeilichen Überlegungen versunken … Esther, die wir beide vergessen hatten, bricht das Schweigen.
»Meine Güte, was für eine Geschichte!«
Philippe seufzt.
»Also ist sie die Aufgehängte«, sagt er dann.
Er nimmt das Foto, auf dem Alix als junges Mädchen abgebildet ist, in die Hand, betrachtet es aufmerksam und fragt mich: »Hast du sie wiedergesehen?«
»Nein. Als ich morgens mit einem riesigen Brummschädel wach wurde, war niemand mehr da … Das junge Ding war ausgeflogen.«
»Und danach? In den vielen Jahren?«
In den vielen Jahren … die so schnell vergangen sind.
»Nie …
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