Die Gauklerin von Kaltenberg
eigenen Kampfgenossen ein. Unter den brutalen Schlägen splitterten Knochen. Aber der eiserne Wille zu überleben stellte sich zwischen ihn und die Gewissheit, dass er noch gestern mit diesen Männern getrunken hatte. Er schrie wie von Sinnen und schlug wie ein Besessener nach rechts und links. Stöhnen, Wiehern, Hufschlag und Todesschreie hallten in seinen Ohren, aber er achtete nicht mehr darauf. Rücksichtslos brach er durch die Reihen. Unter seinen Füßen spürte er die weichen Leiber der Getöteten, stolperte über einen Pferdekadaver, kamwieder auf die Beine. Brüllend wie ein Tier kämpfte er sich den Weg frei.
Keuchend erreichte er die Sümpfe am Ufer. Mit einem wilden Laut sah er sich um. Auch hier wütete ein gnadenloser Kampf. Viel länger als jedes Schwert, spießten die Hellebarden die Ritter förmlich auf, stießen sie ins Wasser. Mit blitzschnellen Drehungen holten die Schweizer aus und hauten ihre Gegner buchstäblich in Stücke. Leichen trieben im Schilf, im bleichen Mondschein schim merte das Wasser rot. Die Cotte klebte an seinem Leib, die Lederschienen juckten. Ohne zu begreifen, sah er an sich herab. Er war am ganzen Körper blutbespritzt.
Ein langhaariger Eidgenosse kam mit dem Spieß auf ihn zu. Steffen wehrte ihn ab, die Waffen rieben knirschend aneinander, laut aufklatschend flogen beide ins knietiefe Wasser. Mit pfeifen dem Atem sah Steffen, wie der Schweizer den Dolch zog. Er war jung, fast noch ein Kind. Trotzdem hatte Steffen Angst. Panische Angst.
Keuchend drehte er sich um, warf sich ins eiskalte Wasser und schwamm mit kräftigen Zügen in die Freiheit.
Er brauchte eine Woche zurück nach Baiern. Jedes Mal, wenn er durch ein ausgebranntes Dorf kam, dachte er wieder an die Schweiz. Zum ersten Mal hatte er Zeit nachzudenken, und er begriff, was die Eidgenossen unüberwindlich gemacht hatte: Sie kämpften nicht für Lohn, sondern für ihre Freiheit.
In der Nähe des Ammersees traf er auf eine Gauklertruppe. Der Anführer, ein Bursche namens Falconet, nahm ihn widerwillig auf. Die einzige Frau, eine hübsche Blonde, gab ihm handgreiflich zu verstehen, dass er unter ihrem Rock nichts zu suchen hatte. Er nahm es mit ungewohnter Gelassenheit hin. Noch atmete er, sonst zählte nichts. Irgendwann würde er schon ein Liebchen finden, die abgelegte Geliebte eines Ritters oder eine davongelaufene Hexe. Er war jung und felsenfest entschlossen, sein gerettetes Leben in vollen Zügen zu genießen.
2
Anna schlug die Augen auf. Über ihr war alles grün und ver schwommen. Jemand sagte etwas, das sie nicht verstand. Sie frös telte, dann wurde ihr heiß. Ihr war so übel, dass sie glaubte, sich übergeben zu müssen.
Langsam wurde das Bild klarer. Über ihr breitete sich ein lich tes Dach aus bunten Buchenblättern aus. Vorsichtig bewegte sie die eiskalte Hand. Ihre Fingerspitzen waren fast taub, aber sie fühlte einen fremdartigen Wollstoff unter sich. Und Schmerzen. Ihr Gesicht war heiß und geschwollen. Ihr ganzer Körper pochte und glühte, als hätte man ihr jeden Knochen im Leib zerschlagen.
»Du bist wach!« Die Stimme hatte einen starken Akzent. Anna versuchte sich zu erinnern, was geschehen war. Stöhnend fasste sie sich an den Kopf und spürte einen Verband.
Der Mann, der gesprochen hatte, kniete neben ihr nieder: ein dunkler Fremder mit schwarzem Vollbart. Jetzt erkannte sie ihn: Maimun. Er gehörte zu Raouls Gefolge.
Anna erschrak zu Tode. Sie fuhr hoch, und für einen Moment drehte sich alles. »Vorsichtig«, lachte er. »Leg dich hin, sonst über gibst du dich wieder. Du warst fast ertrunken, als Raoul dich aus dem Lech zog. Beinahe wärst du uns unter den Händen gestor ben. So.« Er sah nach ihren Verbänden, offenbar waren es einige. Dann tupfte er ihr vorsichtig die Stirn und flößte ihr ein bitteres Gebräu ein. »Trink! Es wird dich beleben und die Verletzungen heilen lassen.«
Anna roch zermahlene Kräuter. Während sie den scharf gewürzten Trank schluckte, kämpfte sie fieberhaft gegen das dumpfe Gefühl in ihrem Kopf an. Aber sie war kaum fähig, einen klaren Gedankenzu fassen. Raoul? Sie hatte einen Fluch gegen ihn ausgesprochen, er wollte sie töten. Warum sollte er sein Leben wagen, um sie zu retten?
Zitternd setzte sie den Becher ab und klammerte die Hände dar um. Man hatte sie ertränken wollen. Mit einem Schlag kam das ganze Entsetzen wieder, es schüttelte sie förmlich. Das Was ser um sie, die machtlose Panik, als sie zu ersticken glaubte … die
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