Die Gebeine von Avalon
ankommen.»
Dudley streckte die Arme.
«Wenige Männer mitzunehmen – das wird bestimmt wirklich besser sein. Ehrlich gesagt gefällt mir die Vorstellung – einmal die selten vergönnte Freiheit zu genießen, mich wie ein gemeiner Bürger zu bewegen, ohne die Insignien eines hohen Amtes.»
Möglich, dass ich blinzelte. Robert Dudley ohne die Insignien seines hohen Amtes war wie Hampton Court ohne Glas in den Fenstern und mit einer Schafherde im Park.
«Cecil will, dass wir als kleine Beamte der Krone reisen», sagte er, «und untersuchen, was von der alten Ruine übrig geblieben ist. Es soll uns jemand begleiten, der sich in der Gegend auskennt. Auch dafür wird Cecil Sorge tragen. Überlässt eben nichts dem Zufall.»
«Nein, das tut er nicht.»
«Hat wohl vor, mich für eine Weile vom Hof zu entfernen», mutmaßte Dudley.
«Aber bestimmt nicht.»
«Ihm ist wohl nicht klar, dass ein Mann, der seiner Königin ein so großartiges Symbol ihrer royalen Herkunft verschafft … etwas, das ihrer Regentschaft eine fast mystische Aura verleiht … dass ein solcher Mann … sich seines Lohns gewiss sein darf.»
Er lächelte nicht.
«Wir sind nicht auf der Suche nach dem Heiligen Gral», entgegnete ich.
«Du vielleicht nicht. Aber ich … möglicherweise schon.»
Dudley wandte den Kopf und schaute auf die breite Wasserstraße, dann hinauf zum Himmel, wo ein Buttermilchmond auf seinen nächtlichen Auftritt lauerte.
VII Ehrfürchtiger Taumel
O bwohl ich kein wirkliches Gespür für derlei Erscheinungen habe, kam es mir in jener Nacht dennoch so vor, als sei ich nicht allein in der Bibliothek.
So etwas geschieht schon mal. Oft vernehme ich dann jenes Rascheln und Knistern des Papieres, als würden sich die Bücher miteinander unterhalten, ihr Wissen teilen und es dadurch im Raume mehren. Oder das kaum hörbare Glockenspiel, das von weit her und doch mitten im Zimmer zugleich erschallt, um anzukündigen, dass eine neue Idee Gestalt annimmt. Oh, Ihr werdet sicher denken, ich sei ein Phantast.
Ich
jedoch denke, dass die Wissenschaft niemals nur zur grauen Theorie verkommen darf, eingeschnürt von strengen Formeln und Regeln. Sie muss vielmehr offen und erfüllt sein von der allgegenwärtigen
Andersartigkeit
, die jedem Ding innewohnt.
In jener Nacht saß ich im Lichte zweier Kerzen an meinem Pulte, einen kleinen Krug Bier zu meiner Rechten, und wollte an meiner Schöpfungstheorie arbeiten, ein Unterfangen, das präzise, prägnant und mathematisch zu erklären sucht, wie unser Universum entstand und woraus es gemacht ist … und auf welche Art wir mit seinen verborgenen Kräften in Verbindung treten können.
Doch dann ertappte ich mich dabei, wie ich an Catherine Meadows dachte, unsere verschollene Dienerin, und wie ich mir manchmal wünschte, bei ihr zu liegen, auf dass wir Wärme und Trost beieinander fänden, denn Catherine erschien mir als ein Mädchen voller Sanftmut, das niemals …
Herr im Himmel, was ist nur aus mir geworden?
Dr. Dee beschwört Dämonen!
«John.»
Beinahe wäre mir ein Aufschrei entfahren in meiner Scham. Meine Mutter stand in der Tür, einen Zinnhalter mit Kerze in der Hand. Im flackernden Licht wirkte ihr Gesicht wie aus Pergament. Über ihrem Nachthemd trug sie ihren alten grauen Morgenrock.
«Manchmal», sagte sie, «gefällt es mir gar nicht, wie uns unsere Nachbarn ansehen.»
Das Kerzenlicht warf Schatten, die über die Berge von Büchern und Manuskripten sprangen und auf dem Globus tanzten, den mein Freund und Lehrer Gerard Mercator für mich gefertigt hatte. Im Feuer knackte ein Holzscheit. Ich setze mich auf.
«Welche Nachbarn? Doch nicht etwa Goodwife Faldo?»
«Nein, es sind Leute … die mir namentlich nicht bekannt sind. Merkst du nicht, wie man uns anschaut?»
Ich musste an die Männer in der Schenke und ihre Blicke denken, als ich auf der Suche nach Jack Simm gewesen war. Und an das, was er mir erzählt hatte. Ich wollte meine Mutter beruhigen und etwas Tröstliches sagen, aber mir fiel nur das Angebot von Cecil ein, eine Wache zu ihrem Schutz abzustellen. Ich wusste, wie ihre Antwort darauf ausfallen würde.
«Ich möchte das nicht. Dies ist mein Zuhause. Und ich will nicht, dass man uns anstarrt, als wären wir … seltsam.» Meine Mutter trat ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich. «Als man dir das Pfarramt in Upton-upon-Severn gab, dachte ich, all das würde sich ändern.»
«Das ist lang her.»
«Nicht allzu lang.»
«Es war eine andere
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