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Die Geburt Europas im Mittelalter

Die Geburt Europas im Mittelalter

Titel: Die Geburt Europas im Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Repression, wenn man die Ansicht vertritt, dass in dem, um es noch einmal zu sagen, sehr unwahrscheinlichen Fall einer siegreichen Ausbreitung des Katharismus ein fundamentalistisches Europa entstanden wäre.
    In der gärenden Unruhe ketzerischer Strömungen der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts machte in Lyon ein Kaufmann, Pierre Valdès, von sich reden, der, selbst im Laienstand verbleibend, Armut, Demut und einen evangelischen Lebenswandel predigte. Ursprünglich scheint das Waldensertum keine Häresie gewesen zu sein, sondern eine Reformbewegung zu Gunsten einer größeren Beteiligung der Laien, ohne die kirchliche Autorität in Frage zu stellen. Das Verdammungsdekret
Ad abolendam
, das Papst Lucius III. 1184 mit Unterstützung des Kaisers in Verona erließ, öffnete den Weg für die grausame Verfolgung aller Häretiker, die unterschiedslos über einen Kamm geschoren wurden: «die Katharer, die Patarener, diejenigen,die sich unter einem falschen Namen die Demütigen oder die Armen von Lyon genannt haben, die Passaginer, die Josefisten und die Arnoldisten». Nur zu offensichtlich verbarg sich unter diesem Amalgam die Verzweiflung einer, wie Monique Zerner so schön sagt, von der
Undurchsichtigkeit
der Häresie überwältigten Kirche.
    Der große Organisator des Kampfs gegen die Ketzerei war Papst Innozenz III. (1198–1216). Schon 1199 setzte er die Häresie dem Majestätsverbrechen gleich, was zur Folge hatte, dass Häretiker mit der Konfiszierung ihrer Besitztümer, dem Ausschluss von öffentlichen Ämtern und Enterbung bestraft werden konnten. Innozenz III. übertrug den Kreuzzugsgedanken auf die Häretiker, indem er 1208 weltliche Kreuzfahrer zu einem Krieg gegen sie aufrief. Dieser Krieg, der mit der Plünderung von Béziers und dem Massaker an seinen Bewohnern in der dortigen Kirche begann, zog zahlreiche kleine Herren aus Nordfrankreich an, die kein Land geerbt hatten. Der so genannte «Albigenserkreuzzug» endete erst 1229 mit der Unterwerfung des Grafen von Toulouse sowie der Herren und der Städte von Südfrankreich.
    In der Zwischenzeit hatte das vierte Laterankonzil (1215) den christlichen Fürsten einen Schwur zur Bekämpfung der Ketzerei vorgeschrieben. Außerdem hatte es die Juden zur Kennzeichnung ihrer Kleidung durch ein aufgenähtes Zeichen, den Judenfleck, verurteilt. Dabei handelte es sich im Allgemeinen um ein kreisförmiges Stück roten Stoff. So entstand in Europa der erste Vorläufer des künftigen Judensterns. Die meisten weltlichen Regierungen vernachlässigten die Einhaltung dieser Vorschrift. Doch am Ende seiner Herrschaft, im Jahr 1269, wurde Ludwig der Heilige – gegen seinen Willen, wie es scheint – dazu gezwungen. 1232 richtete Papst Gregor IX. neben der bischöflichen Inquisition eine Pontifikalinquisition ein, die Ketzer in der ganzen Christenheit im Namen der Kirche und des Papstes verurteilte.
    Die Inquisition nach einem neuen juristischen Verfahren, das als Inquisitions- und nicht mehr Akkusationsverfahren bezeichnet wurde, bestand im Verhör des Angeklagten mit dem Ziel, von ihm ein Schuldgeständnis zu bekommen. Damit wurden die Grundlagen für ein Europa des Geständnisses gelegt. Aber sehr bald schon wurde das Geständnis durch Folter erpreßt.Seit dem frühen Mittelalter war die Folter nur selten angewendet worden, weil sie nach antikem Brauch auf Sklaven beschränkt gewesen war. Die Inquisition ließ sie wieder aufleben und weitete sie auf Männer und Frauen des Laienstandes aus. Das ist einer der schlimmsten Aspekte dieser von Robert I. Moore angeprangerten Gesellschaft der Verfolgung, die sich in Europa etablierte.
    Die Inquisition verurteilte eine beträchtliche, wenn auch unmöglich genau bezifferbare Zahl von Häretikern zum Tod auf dem Scheiterhaufen. Die Exekution der von den Inquisitionsgerichten verurteilten Ketzer oblag der zeitlichen Gewalt als dem weltlichen Arm der Kirche. Unter sozialen Gesichtspunkten hatte sich der Katharismus zuerst im Adel, in den Städten und in bestimmten Handwerkerkreisen, etwa bei den Webern, ausgebreitet. Die unerbittliche Repression reduzierte seine Anhängerschaft in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts auf einige Berggemeinden wie die Dorfbewohner von Montaillou in der Ariège, über die Emmanuel Le Roy Ladurie ein beispielhaftes Buch geschrieben hat.
Die Judenverfolgung
    Die zweite Gruppe, die sowohl von der Kirche als auch von den christlichen Fürsten verfolgt wurde, waren die Juden. Lange Zeit hatten sie kein

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