Die Gefährtin des Vaganten
anzureden? Als ich Euch kennenlernte, wart Ihr ein kleiner Junge, und zuletzt sah ich Euch beim Tod Eurer Mutter.«
»Ich erwarb einen Magistertitel, Frau Hemma.«
»Nun, dann also Magister Hagan. Ihr seid dennoch unter die Vaganten gegangen. Keine edle Zunft, möchte man meinen.«
»Aber eine lustige.«
Laure setzte sich auf die Bank an der Wand und hielt die beiden unauffällig im Blick. Hemma war eine alte, kranke Frau, und sollte der Magister sie aufregen, würde sie sofort eingreifen. Aber es schien, dass sie einander gut verstanden, auch wenn Hagan geschickt wusste, Fragen zu seinem Leben zu vermeiden, indem er die Erinnerungen der Einsiedlerin wachrief. Hemma hatte in den letzten Tagen oft alten Zeiten nachgehangen, hatte Laure festgestellt.
»Ja, ich bin zu Bela gezogen, damals, anno 1387. Es war besser so, und Eure Tante hat mich großherzig aufgenommen.«
»Eure Familie …«
»Bis auf meine Schwester lebte damals niemand mehr.«
»Eure Schwester lebte auch im Adelheidis-Stift, nicht wahr?«, warf Laure ein.
»Brigitte? Ja, auch wenn nur mit Unterbrechungen. Brigitte hat das Stift verlassen, um unseren Vater zu pflegen. Er hatte eine lange Leidenszeit und starb im Jahr siebzig. Damals war ich noch mit Iddelsfeld verheiratet und hatte andere Pflichten. Ich war froh, dass Brigitte sich um unseren Vater kümmerte. Darum habe ich ihr vieles verziehen, Hagan. Aber …« Hemma seufzte, und Hagan nahm ihre Hand in die seine. »Sie ist sechs Jahre jünger als ich und hat sich von mir, glaube ich, immer bevormundet gefühlt. Obwohl ich ihr nie willentlich übelwollte. Es gibt schon seltsame Menschen. Manchen kann man nichts recht machen, sie bilden sich ihre Meinung und beharren darauf, auch wenn alle Umstände das Gegenteil beweisen. Wann immer solche Menschen zu mir kamen, um meinen Rat zu suchen, fühlte ich mich so hilflos. Genau wie bei Brigitte.«
Wieder seufzte sie, und Laure wollte einschreiten, aber Hagan schüttelte unmerklich den Kopf.
Nun gut, es mochte Hemma vielleicht erleichtern, über ihre Vergangenheit zu sprechen. Dass sie sich mit ihrer Schwester gestritten hatte, hatte sie schon einmal angedeutet, und es schien, dass dieser Streit ihr Gewissen belastete. Also mochte sie reden.
»Brigitte hat schon als ganz kleines Mädchen das Bedürfnis gehabt, alles festzuhalten. Seltsam, dass ich mich jetzt daran erinnere. Sie hat an ihrer Amme mit beinahe krankhafter Liebe gehangen. Das arme Weib durfte kaum einen Schritt ohne sie machen. Sie nahm es jedes Mal sehr übel, wenn die Frau sich um mich kümmerte. Und so war es später dann auch immer. Ich dachte, es würde besser, als sie einem Mann anverlobt wurde, aber sie hielt ihn für einen jämmerlichen Tropf, obwohl er ein sehr achtbarer Ministerialer war.«
Hemma verstummte, und Hagan streichelte ihre dünnhäutige Hand.
»Sie wollte meinen Iddelsfeld. Aber Johannes hat sie nicht beachtet. Ihren Verlobten hat sie so lange erniedrigt und gedemütigt, bis er das Weite suchte. Daraufhin ist sie in den Adelheidis-Stift eingetreten. Ich war erleichtert darüber, denn nun kam sie nicht ständig und umgarnte meinen Gatten.« Mühsam drehte Hemma sich zu Laure um. »Ich habe nie darüber gesprochen, Laure. Ich wollte dir meinen Kummer nicht auch noch aufhalsen.«
»Macht Euch keine Sorgen darum, Frau Hemma. Ich glaube, nicht alle Geschwister verstehen sich gut. Aber umso dankbarer bin ich dafür, dass Jan und Paitze meist ganz friedlich miteinander auskommen. Sie zanken sich dann und wann, aber sie vertragen sich auch schnell wieder.«
»Ja, deine Kinder sind gesund an Leib und Seele. Und Eure Tochter auch, Hagan.«
»Sie ist ein Trotzkopf.«
»Euch gegenüber. Und das mag wohl auch seinen Grund haben. Magister Hagan, Ihr habt eine angenehme Art zuzuhören. Hört auch dem Kind einmal zu, dann werdet Ihr herausfinden, warum sie Euch gegenüber so kratzig ist.«
»Mir gegenüber ist sie auch hilfsbereit und freundlich. Aber dass Ihr ihr ein buntes Band mitgebracht habt, Herr Magister, hat sie erfreut. Auch wenn sie es nicht gesagt hat.«
Laure sah ein kleines Zucken in seinem Gesicht. Er war offensichtlich noch immer nicht bereit, sich als Vater des Mädchens zu fühlen. Und wie erwartet, lenkte er auch gleich darauf von diesem Thema ab.
»Frau Hemma, ich habe Euch aber nicht nur Grüße von Bela von Horne zu senden, sondern auch eine Einladung. Sie würde sich freuen, wenn Ihr, sobald es Euch besser geht, wieder zu ihr ziehen würdet.
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