Die Gegenpäpstin
»Ich bin vierzehn Tage drüber«, gestand sie unvermittelt. »Und das
einzige, worauf ich mich bisher hundertprozentig verlassen konnte, war meine monatliche Regel.«
Regine sah sie mitfühlend an. »Vielleicht sind es die Umstände. Du hast viel durchgemacht in den letzen Wochen.«
»Umstände – ein interessantes Wort.« Sarahs Lächeln hatte eine fatalistische Note. »Ich kaufe mir heute mittag einen Test.
Dann werden wir’s wissen.« Ihre Stimme war tonlos. Mühsam versuchte sie aufzustehen, was ihr schließlich mit Regines Hilfe
gelang. Danach wusch sie sich Hände und Gesicht unter kaltem Wasser, spülte sich den Mund aus, und als sie aufblickte und
automatisch in den Wandspiegel schaute, erkannte sie sich beinahe selbst nicht mehr. Mit ihrem Handrücken fuhr sie sich über
die schweißnasse Stirn, strich sich die stumpfen Haare aus dem Gesicht. »Sieht man so aus, wenn man guter Hoffnung ist?«
Halten Sie den Teststreifen eine kurze Zeit unter den Mittelstrahl des Morgenurins. Nach etwa drei Minuten erscheint im Ergebnisfeld
das Wort schwanger oder nicht schwanger.
Sarah überlegte einen Moment, ob sie den Test überhaupt durchführen sollte. Was wäre, wenn er positiv ausfiele? Andererseits |327| hielt sie es für ziemlich ausgeschlossen, daß es so sein sollte. Während ihrer Zeit mit Aaron hatte sie sich eine Weile sogar
ein Kind gewünscht. Bei einer Routineuntersuchung hatte die Ärztin ihr schonend beizubringen versucht, daß einer ihrer Eileiter
Verwachsungen aufzeige und sie ohne eine Operation zu den Frauen zählen würde, die vielleicht vergeblich auf eine Schwangerschaft
hofften.
Im fahlen Neonlicht der Badezimmerbeleuchtung nahm der Schriftzug des Teststreifens Gestalt an. Kein Zweifel. Schwanger. Ihr
Herz schlug so heftig, daß ihre Hände bebten.
Zitternd zog sie sich das Nachthemd hoch und setzte sich auf den Rand der luxuriösen Badewanne. Mühsam um Fassung ringend,
richtete sie den Blick auf ihren flachen, leicht gebräunten Bauch, wie auf Spurensuche, ob man schon etwas sehen konnte. Im
nächsten Moment erschien ihr der Gedanke zu lächerlich, als daß sie ihn zu Ende denken wollte. Es war erst drei Wochen her,
seit sie mit Padrig geschlafen hatte. Nein, nicht geschlafen. Sie hatten sich geliebt – im wahrsten Sinne des Wortes.
Bald würde sich ihr schlanker Leib wölben, als ob sie einen Fußball verschluckt hätte, und dann würde sie unter Schmerzen
ein Baby herauspressen – in eine Welt, in der es keinen Vater haben würde, denn der war ja ein katholischer Priester, der
es vorzog, sein Gelübde zu erfüllen, und der am besten nicht einmal erfuhr, daß es da jemanden gab, für dessen Dasein er die
Mitverantwortung trug.
Und was erst würde der Großvater, seines Zeichens ein Rabbi, zu dem Kind sagen! Das Kind wäre in jedem Fall von Geburt an
jüdisch, weil seine Mutter eine Jüdin war, gleichgültig, wie mißraten sie sich in den Augen ihres strenggläubigen Vaters benommen
hatte. Und wenn es ein Junge wäre, so müßte der fromme Großvater darauf bestehen, den Kleinen beizeiten beschneiden zu lassen.
Und die Mutter? Unbestätigte Anwärterin auf das symbolische Amt einer christlichen Gegenpäpstin. Schwanger und |328| gleichzeitig Hoffnungsträgerin eines nicht geringen Teils der weiblichen Christenheit. Eine absurde Vorstellung!
Ihre Gedanken stürzten durcheinander. Plötzlich erinnerte sich Sarah an ihren seltsamen Traum.
»Sei unbesorgt, Sarah, ich prophezeie dir, du wirst eine Tochter haben, die stellvertretend für alle Töchter das Erbe deiner
Mutter fortführen wird.«
Vielleicht wurde sie langsam verrückt!
Erneut versuchte sie die aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken. Regine – sie mußte es als erste erfahren.
»Du willst es doch behalten, oder?« fragte Regine wenig später, und der Ausdruck in ihren aufgerissenen hellgrünen Augen schwankte
zwischen Freude und Entsetzen. Völlig verdattert, ein Geschirrtuch in der Hand, weil sie das Frühstück vorbereitete, stand
Regine da und suchte nach Worten. Die Beginenchefin hatte so etwas geahnt, doch jetzt, da diese Ahnung zur Gewißheit geworden
war, erschien ihr die ganze Angelegenheit unwirklich.
»Daß ausgerechnet du mir diese Frage stellst!« Sarah war entrüstet.
Regine sah sich gezwungen einzulenken. »Natürlich wirst du es behalten«, beschwichtigte sie Sarah. »So setz dich erst einmal.«
Sie faßte Sarah am Arm und zog sie auf das
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