Die Gegenpäpstin
Ihren Vater so sehr schätze.«
Sarah schwieg und starrte zum Fenster hinaus. Darin spiegelte sich die abendliche Hafenbeleuchtung von Haifa. Sie klammerte
sich an eine Tasse heißen Tee, die ihr Morgensterns Assistentin fürsorglich zubereitet hatte, weil sie wohl annahm, daß Sarahs
verquollenes Gesicht von einer Erkältung herrührte.
Es dauerte zwanzig Minuten, bis der Inspektor nach mehreren Computeranfragen und diversen Telefonaten an seinen Schreibtisch
zurückkehrte, wo Sarah ihn voller Anspannung erwartete.
»Sie hatten recht. Sie sind tatsächlich ins Fadenkreuz der ISA geraten, weil sie eine intensive Verbindung zu Doktor Messkin
hatten. Dummerweise ist mittlerweile ein arabisches Bekennerschreiben aufgetaucht, in dem sich eine bis dahin unbekannte proarabische
Gruppierung zu dem Anschlag bekennt. Darin wird die Entführung des Professors bestätigt und Doktor Messkin als Bruder bezeichnet,
dessen Tod man bedauert.« Morgenstern zögerte einen Moment. »Die Behörden denken darüber nach, Sie unter Hausarrest zu stellen.«
|122| Sarah schüttelte ungläubig den Kopf. »Sie wollen mir Angst einjagen, nicht wahr?«
»Leider nicht«, sagte Morgenstern. »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll«, bekannte er stockend. »Aber mein Gefühl sagt
mir, daß Sie mit der Sache nichts zu tun haben. Ich an Ihrer Stelle würde Israel verlassen, solange es noch möglich ist. Ansonsten
riskieren Sie eine Verhaftung.«
»Gilt deine Einladung noch?« fragte Sarah, als sie Rolf am nächsten Morgen wie verabredet in der Mensa der Universität traf.
Sie hatte die halbe Nacht kein Auge zugemacht und fühlte sich erschöpft, als sie sich zu ihrem deutschen Kollegen an den Tisch
setzte.
»Natürlich«, antwortete Rolf. »Was ist passiert? Du hörst dich noch schrecklicher an als gestern abend am Telefon.«
»Die ISA will mich möglicherweise unter Hausarrest stellen lassen«, erklärte sie flüsternd, dabei schaute sie sich prüfend
um. »Es gibt ein aktuelles Bekennerschreiben zu dem Überfall, das tatsächlich auf eine Entführung durch arabische Terroristen
hinweist. Und Aaron soll darin verwickelt gewesen sein.«
»Das ist doch Schwachsinn«, beschied Rolf mit abweisender Miene. »Da will euch jemand etwas anhängen. Aaron war ein seriöser
Wissenschaftler.«
»Ja, ein Wissenschaftler, das war er«, bestätigte Sarah, nachdem sie einen vorsichtigen Schluck Tee genommen hatte. »Aber
das Wort ›seriös‹ hätte er als Beleidigung empfunden.«
»Du mußt hier weg«, sagte der Deutsche entschieden. »Ich versuche noch heute, einen Flug zu bekommen.« Dann hielt er für einen
Moment inne. »Du besitzt doch einen gültigen Paß, oder?«
»Ja, sogar zwei. Einen israelischen und einen aus der Schweiz. Durch meine Mutter habe ich eine doppelte Staatsbürgerschaft.«
»Wunderbar. Dann packst du am besten sofort deine Sachen. Und vergiß die Pergament-Kopien nicht.«
|123| 12.
62 n. Chr. – Steter Tropfen …
Mirjam schlief noch, als Jaakov, nachdem er die Ziegen gemolken hatte, in die Hütte zurückkehrte. In seine alten Wolldecken
gehüllt, lag sie wie ein Kind da. Sollte er sie wecken? Einen Moment lang überlegte er, doch dann regte sie sich unvermittelt
und drehte sich nach ihm um.
Sie blinzelte ihn mit ihren bernsteinfarbenen Augen an, wie ein Mädchen, das einen jungen Mann anlächelt, um ihm zu zeigen,
daß er ihr nicht gleichgültig ist.
Er lächelte zurück. Dieses stumme kleine Glück war also das, was ihm bleiben sollte, nach Jahren der Trauer, des Hoffens und
des Wartens.
»Ich muß nach Kanaa«, sagte er, nachdem sie vollends erwacht war, und stellte ihr einen Teller mit frischem Brot und einen
Becher Milch hin. »Wir haben kein Öl mehr, und außerdem gibt es dort eine weise Frau, die mit Kräutern handelt, und du brauchst
etwas gegen dein Fieber.«
»Du willst mich alleine lassen?« Mirjam sah ihn fragend an, während sie sich langsam erhob. »Ich dachte, wir haben etwas vor.«
»Ich bin spätestens morgen früh zurück. Ohne Essen im Haus lebt es sich nur halb so gut. Die Zeiten des Fastens habe ich ein
für alle mal hinter mir gelassen.« Er lächelte entschuldigend, während er über die etwas zu üppig geratene Körpermitte strich,
die sich unter seinem Gewand abzeichnete.
»Ich wünschte, ich könnte mit dir gehen«, sagte sie und sah ihn mit undurchdringlicher Miene an.
»Es wäre viel zu anstrengend«, entgegnete er
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