Die Gegenpäpstin
wird sich auflösen
Alles geht zu seinen Wurzeln zurück
Und der Geist wird frei sein, um zu dem einen Geist zurückzukehren,
der alles belebt
Bis in Ewigkeit
Amen
|137| 14.
62 n. Chr. – Alle für eine(n)
Der Weg nach Kanaa war lang und steinig. Jaakov ignorierte seine schmerzenden Knie, während er eilig voranschritt. Mirjam
zurückzulassen war ihm schwergefallen, doch seine Angst, daß ihr auf dem Weg etwas zustoßen könnte, war zu groß. Aber vielleicht
hatte sie ja recht, und es war vielmehr seine eigene Angst, daß etwas zu Ende ging, was überhaupt noch nicht richtig begonnen
hatte.
Schließlich war sie selbst nie ängstlich gewesen. Ansonsten wäre sie seinem Bruder weder gefolgt, noch wäre sie seine Gefährtin
geworden. Sie war die mutigste Frau, die ihm je im Leben begegnet war. Im Gegensatz zu ihrer Schwester Martha, die einem schüchternen
Kätzchen glich, war Mirjam die wahrhaftige Löwin von Judäa, ungebändigt, frei und schonungslos, wenn es darum ging, ihre Meinung
zu vertreten. Neugierig war sie, und ihr Verstand arbeitete so vieler schneller als der ihrer männlichen Mitstreiter. Einzig
Jeschua hatte ihren Vorstellungen und Ideen folgen können und vielleicht noch Thomas. Er hatte ebensooft mit ihr um Worte
und Erklärungen gerungen wie Jochannan, der Jüngste unter ihnen, den ihre verwegenen Gedankenspiele nicht weniger faszinierten.
Jaakovs Weg führte durch ein kleines Dorf. Im Vorbeigehen grüßte er eine alte Bäuerin. Sie war Jüdin wie Jaakov, doch anders
als er war sie keine Anhängerin der Lehre Jeschuas, wie er an ihrer züchtigen Kleidung sehen konnte und daran, daß sie kaum
den Kopf hob und Jaakov nicht anschaute, als er ihr den Gruß entbot.
Die Frauen, die Jeschua gefolgt waren, gehörten zu einer ganz anderen Sorte von Weibern. Sie waren nicht länger die demütigen
Töchter Evas, die, beladen mit einer schweren Schuld, gebeugt durch die Welt schlichen. Nein, seine Jüngerinnen gingen |138| aufrecht. Viele kamen aus reichem Haus und waren gebildet. Wenn sie nicht – wie Mirjam – frei von elterlicher Bevormundung
lebten, setzten sie manches Mal den Familienfrieden aufs Spiel, nur um seiner neuen Lehre zu folgen, einer Lehre, in der alle
Menschen die gleichen Rechte genossen – ohne Rücksicht darauf, ob sie Mann oder Frau waren. Das hatte viele seiner männlichen
Anhänger verstört.
Die Sonne stand hoch am Himmel, als Jaakov die weißen Häuser von Kanaa erreichte. Das Schwert eines vorbeireitenden, römischen
Legionärs reflektierte das gleißende Mittagslicht, und für einen Moment sah es aus, als würde eine Flamme aus dem Stahl hervorlodern.
Nein, es waren keine flammenden Schwerter, mit denen sie Jeschuas Worte und Taten verkündeten. Ihre flammenden Herzen waren
es, die ihre Zuhörer überzeugten. Von Ort zu Ort wurden es von Tag zu Tag mehr, Frauen und Männer, in einer einzigartigen
Liebe vereint, zu einem einzigen Mann und damit zu einem einzigen Gott, dessen Geist bereits vor der Geburt in jedem lebenden
Wesen wohnte.
Als Jaakov am Abend den halben Weg zurück zur Hütte geschafft hatte, setzte er sich für eine kurze Rast auf einen Felsen nieder.
Gedankenverloren beobachtete er, wie die rotgoldene Sonne hinter dem gewaltigen, schwarzen Schatten des Berges Tabor in die
Nacht hinabtauchte.
Mirjam hatte wie so oft recht. Nur weil er den Versuch unternahm, den alten Glauben mit dem neuen zu versöhnen und weil er
den Hohepriester und den Rat der Ältesten im Sanhedrin davon zu überzeugen versuchte, daß sie vor der Lehre seines Bruders
keine Angst haben mußten, war er noch längst kein Hasenfuß und schon gar kein Verräter. Vielleicht war es sogar leichter,
das Land zu verlassen und dorthin zu gehen, wo man weniger Widerstand erwarten durfte. Jedoch einfach würde es nirgendwo sein,
das wußte er von den vielen, die zurückgekehrt waren. Wer |139| die neue Freiheit predigte, legte sich ohne Zweifel mit den Mächtigen an, die am liebsten alles beim alten beließen. Das hatten
sein Bruder und alle seine Anhänger grausam zu spüren bekommen. Jedoch Mirjam und die Frauen waren es gewesen, durch Jeschua
befreit von der Unterdrückung ihres Geschlechts, die am ehesten wußten, um was es hier wirklich ging. Wie Mirjam würden sie
nicht aufhören, sich zu erheben. Für ein Leben in Freiheit und das Recht, den Menschensohn suchen zu dürfen.
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|141| Teil II
Februar 2007 – Rom – Castello di
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