Die Gegenpäpstin
Herberge verbracht, die Karawanen eine Bleibe bot, was
unweigerlich bedeutete, daß nicht nur brave Kaufleute mit ihnen das Lager teilten, sondern auch Schurken und Tagediebe. Obwohl
sie ausgemacht hatten, abwechselnd Wache zuschieben, schlief Paulus beinahe die ganze Nacht und überließ es Jaakov, das Geld
und die Wechselbriefe, die für die Gemeinde in Jeruschalajim bestimmt waren, zu schützen.
Nach einem kargen Frühstück aus Datteln und Eselsmilch sattelten sie die Maultiere, und Jaakov beobachtete seinen Begleiter,
wie er emsig seinen Schlafplatz säuberte und sorgfältig sein Gepäck verstaute. Sie hatten die Anhöhe von Jebel Tur’an am Morgen
nach dem Shabbat verlassen, und Jaakov stellte sich die Frage, ob es unter seinen Leuten wiederum zu einem Streit kommen konnte,
weil Paulus in der Auslegung der jüdischen Gesetzgebung längst nicht so akribisch vorging wie in seiner persönlichen Lebensweise.
Jaakov mußte Mirjam recht geben, wenn sie behauptete, daß der Bruder aus Tarsus die Lehre des Meisters in |224| einer Weise deutete, wie nur er selbst es für richtig hielt. Er predigte vornehmlich den Heiden, die sich weder an Beschneidung
noch an jüdische Speisevorschriften hielten, und er stand auf dem Standpunkt, das seien alles Nebensächlichkeiten, die es
auf dem Weg ins Licht zu vernachlässigen gelte. Obwohl Mirjam, im Gegensatz zu Jaakov und seinen Leuten, ganz und gar nicht
die Ansicht vertrat, das Nichtjuden die Zugehörigkeit zur Anhängerschaft Jeschuas verweigert werden sollte, wußte sie doch,
daß es unter den jüdischen Christen genügend andere Brüder und Schwestern gab, die diese Überzeugung ohne Frage bejahten.
In den letzten Wochen hatte sie Jaakov immer wieder entgegengehalten, daß Jeschua die Beschneidung keinesfalls als Voraussetzung
hätte gelten lassen, um Erkenntnis zu gelangen. Denn da gab es noch die Frauen, deren Beschneidung ohnehin nicht zur Debatte
stand. Waren sie deshalb minderwertige Menschen? Unter Jeschua hatten sie uneingeschränktes Mitspracherecht erhalten. Doch
das schien die wenigsten Brüder nach seinem Tod zu interessieren, aber die Weiber wußten sich durchzusetzen, und Mirjam machte
ihnen Mut, sich nicht unterkriegen zu lassen, zumal die Gemeinde auf ihre finanzielle Unterstützung angewiesen war. Eine Tatsache,
die Paulus ebensogern ignorierte, doch in allen anderen Fragen waren sich Judenchristen und Heidenchristen, wie sich die verschiedenen
Fraktionen gegenseitig titulierten, alles andere als einig. Beim letzten Besuch des Paulus in Jeruschalajim vor gut drei Jahren
war es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen ihm und Jaakovs Leuten gekommen. Jaakov hatte die Streitigkeiten im letzten
Moment zu schlichten vermocht, bevor der Hohepriester des Sanhedrin, ein Sadduzäer und damit strikter Verfechter des alten
Glaubens, sich einmischen konnte, indem er vom römischen Prokurator den Tod des Paulus wegen aufrührerischer Reden in ähnlicher
Weise forderte, wie sein Vorgänger einst die Kreuzigung Jeschuas gefordert hatte. Der Sanhedrin hielt sich ohne Abweichung
an die mosaischen |225| Gesetze und tolerierte Andersdenkende nur bis zu einem gewissen Grad, ging man darüber hinaus, riskierte man sein Leben.
Daher begleitete Jaakov ein ungutes Gefühl, als sie in den neuen, klaren Morgen aufbrachen, um von östlicher Seite über das
Kidrontal, entlang der heiligen Quellen zur Stadt des Tempels und der Propheten zu gelangen.
Paulus war die Überraschung anzusehen, als ihnen eine Delegation unter Jochannan entgegenmarschierte. Der große, schlaksige
Mann, der trotz seiner vierzig Jahre noch immer wie ein junger Kerl wirkte, war ein Cousin von Jaakov und hatte Jeschua –
im Gegensatz zu Paulus – trotz seiner Jugend noch als lebenden Menschen kennengelernt.
»Wie konnte er wissen, daß wir am heutigen Tag die Stadt erreichen?« Paulus blinzelte ungläubig zu Jaakov auf, der ein Lächeln
nicht unterdrücken konnte.
»Du weißt doch, daß er über ganz besondere Fähigkeiten verfügt. Er sieht die Dinge, oft lange bevor sie geschehen sind. Ich
hatte letzte Nacht einen Traum, in dem er mir begegnet ist und ich ihm unsere Ankunft ankündigen konnte.«
Bevor Paulus etwas zu erwidern wußte, hatte Jochannan die beiden Männer erreicht. Er lächelte nicht, als er Paulus zum Zeichen
der Zugehörigkeit in einer geheimen Geste die Hand drückte, doch seine Haltung war freundlich.
»Du kommst gerade recht,
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