Die geheime Braut
vielleicht die Haare einzeln vom Kopf reißen?«
Ein Gedanke, der ihm zu gefallen schien, denn er brach in lautes Juchzen aus.
»Isse wach!«, krähte er. »Susa isse wach!«
Wie rasch man sich an so ein kleines Wesen gewöhnen konnte!
Susanna packte Hansi, drückte ihn fest an sich und begann nun ihn zu kitzeln. Er wand sich und strampelte, lachte aber dabei aus vollem Hals.
»Hansi will fliegen!«, verlangte er, als sie ihn wieder losgelassen hatte.
»Freilich«, sagte Susanna und sprang auf. »Den ganzen Tag nur fliegen – das würde dir so passen. Aber dazu wirst du mir langsam zu schwer, junger Mann.«
Der Lärm hatte auch Bini geweckt, die schlaftrunken zu ihnen herüberblinzelte. Die Kammer, die Katharina von Bora ihnen zugewiesen hatte, bestand aus zwei ehemaligen Zellen, zwischen denen man die Wand herausgerissen hatte. Sie war gerade geräumig genug, um Platz für zwei Strohsäcke zu schaffen und die paar Habseligkeiten, die sie auf ihrer Flucht mitgenommen hatten.
»Ich bin noch so müde, dass ich heulen könnte«, murmelte Bini. »Dabei sind wir doch im Kloster noch viel früher aufgestanden!«
»Aber da hatten wir wenigstens feste Zeiten zum Beten und Meditieren. Hier dagegen schuften wir von morgens bis in die Nacht.«
Susanna schlüpfte in ihr Kleid und schloss das Mieder. Noch immer vermisste sie das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, das ihr der strenge weiße Habit mit Schleier, Ska pulier und Zingulum stets geschenkt hatte. In dem ausgeleierten blauen Stoff dagegen fühlte sie sich ungeschützt, männlichen Blicken wehrlos ausgeliefert. Dabei hätte ihr Gewand eine Wäsche längst dringend nötig gehabt. Doch das Ersatzkleid, das sie dann hätte tragen müssen, war noch fadenscheiniger.
Sie wollte Hansi den Rosenkranz aus der Hand nehmen, den er heimlich aus ihrem Bündel gezogen hatte, aber der Kleine machte keinerlei Anstalten, ihn wieder loszulassen. Der Rosenkranz bestand aus einfachen Holzperlen, die Schwester Laureata eigens für Susanna geschnitzt hatte; die Schnur, auf der sie aufgezogen waren, war im Lauf der vielen Jahren brüchig geworden – und riss plötzlich.
Die Perlen kullerten auf den Boden, was Susanna Tränen in die Augen trieb, während Hansi abermals laut aufjauchzte.
»Das ist heilig – heilig! Verstehst du?«, rief sie. »Auch wenn deine Eltern das Ave Maria inzwischen verwerfen. Bini und ich beten noch immer zur Mutter Gottes, so wie wir es gelernt haben.«
Er sah sie so aufmerksam an, als verstünde er jedes Wort.
»Heilig«, wiederholte er schließlich mit großem Ernst. »Heilig …« Dann lief er hinaus. Die gestreifte Katze folgte ihm mit hoch erhobenem Schwanz.
Susanna bückte sich nach dem Kreuz des Rosenkranzes, hob es auf und drückte es an ihre Brust.
»Nach der Arbeit sammeln wir sie alle ein und ziehen sie neu auf«, sagte Bini tröstend, die inzwischen ebenfalls aufgestanden war und ihr Kleid überstreifte. »Einstweilen müssen wir eben ohne Perlen beten. Ist doch ohnehin alles in unseren Köpfen. Und in unseren Herzen erst recht.«
Sie begann am Stoff zu schnüffeln.
»Ich stinke wie ein Iltis«, sagte sie schließlich. »Und dir dürfte es nicht viel anders gehen. Daran sind all diese Tiere schuld, die es hier gibt: Hühner, Gänse, Tauben, Kaninchen, Zicklein, vor allem aber diese Sauen, die ständig im Dreck wühlen. Hast du schon gehört, dass sie demnächst auch noch eine Kuh anschaffen will? Dann werden wir eine richtige Arche Noah haben. Höchste Zeit, dass wir große Wäsche machen, Susanna! Katharina hat mir eine Stelle am Fluss gezeigt, wo die Frauen zum Schrubben hingehen. Am nächsten sonnigen Tag werde ich mich mit unseren Sachen dorthin auf den Weg machen.«
»Schaffst du das denn mit deinem Fuß?« Susanna klang skeptisch.
Bini begann zu strahlen.
»Katharinas Salbe aus Kamille und Arnika hat wahre Wunder gewirkt.« Sie hielt Susanna ihren Fuß hin. »Sieh nur, die Wunde hat sich schon fast geschlossen! Aber warum ziehst du denn auf einmal ein so finsteres Gesicht?«
»Ich schaue drein wie immer«, verteidigte sich Susanna. »Und von geschlossen kann bei Gott noch keine Rede sein!«
Der Fuß war im Nu wieder verschwunden.
»Ach, jetzt weiß ich es: Weil doch heute eigentlich dieser Jan zu uns ins Schwarze Kloster kommen wollte. Aber er ist leider verhindert. Sein Meister soll daran schuld sein. Das hab ich die Lutherin gestern zur Muhme sagen hören.«
»Und wenn schon! Nichts auf der Welt könnte mir
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