Die geheime Braut
zögerte, bevor er antwortete.
»Euphrosyne lautet der Name der dritten Grazie«, sagte er schließlich. »Was auf Deutsch ›Frohsinn‹ bedeutet. Er hat eine ganz besondere Frau dafür gefordert.«
»Er?«
»Der Auftraggeber. Und er verlangt Katharina von Bora.«
»Meine Herrin, die Lutherin?«, rief Susanna. »Er muss wahn sinnig sein. Niemals würde sie sich so malen lassen!«
»Natürlich nicht«, sagte Cranach. »Allein solch ein Ansinnen an Katharina zu stellen, brächte ich nicht über die Lippen. Und was würde wohl erst mein geschätzter Freund Luther dazu sagen! Zudem sind die beiden Frauen tot, die Modell für die anderen Grazien gestanden haben. Folglich würde jede, die sich als Dritte zur Verfügung stellt, möglicherweise ihr Leben aufs Spiel setzen.«
Stille breitete sich aus.
Susannas Gesicht wirkte wie versteinert, während Cranach zunehmend unruhig wurde.
»Andererseits …«, sagte er nach einer Weile, »ist dieses Ge mälde die einzig verlässliche Spur, die zum Mörder führt – und Jan entlasten würde.«
»Aber dieser Auftraggeber würde doch sofort erkennen, dass die dritte Grazie nicht Katharina ist«, wandte Susanna ein.
»Ja, aber dann wäre es bereits zu spät. Denn bei der Übergabe müsste man ihm eine Falle stellen. Voraussetzung dafür allerdings ist, dass das Bild fertig ist, sonst kommt es ja gar nicht dazu. Doch wenn alles reibungslos abläuft, könnten wir jenen geheimnisvollen Mann mit der Halbmaske …«
»Der Auftraggeber trägt eine Maske?«, unterbrach Susanna ihn atemlos.
»Aus dunklem Metall, die seine Züge weitgehend verbirgt. Es gibt da den geheimnisvollen Patron eines Hurenhauses, der dafür in Frage kommt. Er spielt mit Blut, das er an die Wände pinselt, geht im Schloss aus und ein, was niemand be greifen kann, und scheint keinerlei Skrupel zu kennen. Nie mand weiß, wo er sich aufhält. Beinahe, als verfügte er über die Gabe, sich unsichtbar zu machen. Mit dem Gemälde jedoch könnte man ihn herauslocken – und zu Fall bringen.«
»Was Ihr da sagt, leuchtet mir ein«, sagte Susanna schließ lich. Sie reckte ihr Kinn, wirkte plötzlich größer. »Warum malt Ihr nicht mich, Meister Cranach?«
»Weißt du denn, was du da sagst?« Sein Kopf ruckte vor und zurück, so erregt war er.
»Bin ich Euch zu hässlich dafür?«
»Nein, natürlich nicht, aber du spielst mit dem Feuer – einem tödlichen Feuer.«
»Das weiß ich«, sagte Susanna. »Und ich weiß auch, wie Herzen brennen können. Lange Jahre meines Lebens war ich eine getreue Braut Christi. Jetzt aber bin ich Jans Braut. Und ich wünsche mir nichts mehr, als dass er heil wieder aus dem Loch kommt.«
»Es wäre ein sehr gefährlicher Handel, auf den du dich ein lässt«, mahnte Cranach. »Willst du den Lockvogel spielen und in Kauf nehmen, auch zu sterben?«
»Nein, leben will ich – zusammen mit Jan. Und dafür spiele ich, wenn nötig, sogar den Lockvogel. Ich habe viel zu lang Angst gehabt. Jetzt bin ich bereit, der Gefahr direkt ins Gesicht zu schauen.«
Er schwieg, stand bewegungslos.
»Malt mich als dritte Grazie!«, verlangte Susanna. »Zaudert nicht länger! Lasst uns keine Zeit vergeuden!«
Cranach schien tief in Gedanken.
»Man müsste dich auf jeden Fall bewachen«, sagte er. »Und zwar Tag und Nacht. Das wäre schon einmal die erste Voraussetzung. Das Luther-Haus ist ein ehemaliges Kloster und beinahe so wehrhaft wie eine Bastion. Ich könnte meine Leute davor platzieren, die sich schichtweise abwechseln und jeden kontrollieren, der rein- oder rauswill. Aber natürlich müssten Katharina und Martin …«
Er schaute auf, schien erst jetzt zu registrieren, dass er nicht allein war.
»Die Grazien sind nackt«, sagte er. »Sie müssen nackt sein, weil sie die unverhüllte Wahrheit symbolisieren. Euphrosyne wird von vorn gezeigt, so ist das Bild nun einmal aufgebaut. Man wird also alles sehen, die Brüste, die Hüfte und auch die Scham. Wärst du denn auch dazu bereit – du, die einstige Nonne?«
»Versprecht Ihr mir, dass Ihr den Kurprinzen aufsucht?«, fragte Susanna. »Und ihm vortragt, dass Jan unschuldig ist und Ihr vielmehr jenen Mann mit der Maske verdächtigt?«
»Versprochen«, erwiderte Cranach.
Susanna griff in den Beutel, zog Jans Skizzenbuch hervor und begann zu blättern. Dann riss sie vier Blätter heraus und übergab sie Cranach.
»Reicht das für den Anfang?«, fragte sie, während sein Ge sicht tiefe Überraschung widerspiegelte, als er sah, was Jan
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