Die geheime Braut
liebevoll gezeichnet hatte. »Und werdet Ihr auch fürsorglich damit umgehen?«
Er nickte.
»Diese Körperstudien sind sehr schön«, sagte er, »voller Zuneigung und Respekt zu Papier gebracht. Und glaub mir, darin hab ich Erfahrung. Ich werde sie hüten und bewahren.«
»Dann liegt unser beider Leben jetzt in Euren Händen«, sagte Susanna. »Fangt an!«
»Jetzt?«, fragte er gedehnt.
»Ihr habt doch Kerzen in Hülle und Fülle, und außerdem wird bald schon die Sonne aufgehen. Mein Versprechen ist nur gültig, wenn Ihr Eures ebenfalls einhaltet. Also?«
Cranach griff nach dem Gemälde und nahm es vorsichtig von der Staffelei.
»Die Arbeit kann beginnen«, sagte er.
*
Etwas ging vor in diesem seltsamen Haus, in das Griet sie gebracht hatte. Das spürte Marlein, obwohl die Tür ihrer Zelle ver schlossen war und sich trotz allem Rütteln nicht öffnen ließ. Der schmale Raum besaß nur ein kleines Fenster, durch das die erste graue Morgendämmerung kroch, und der Strohsack, auf dem sie lag, musste seine besten Tage schon lange hinter sich haben.
Für ein paar Momente wurden die Schreckensbilder der Dachkammer wieder lebendig, dann jedoch beruhigte sich ihr Herzschlag, und der Puls raste nicht länger.
Sie hatte zu essen und zu trinken sowie einen Eimer für die Notdurft.
Und sie lebte – sie lebte!
Doch was trieben die anderen dort draußen zu dieser frühen Stunde?
Der Hausherr war ihr unheimlich in seiner Strenge und Fröm migkeit, obwohl er es gewesen war, der ihr Zuflucht unter seinem Dach gewährt hatte. Trotz ihres maroden Zustands hatte sie sich andeutungsweise kokett gezeigt, eine Geste, auf die die meisten Männer unwillkürlich reagierten. Doch genau so hätte sie versuchen können, einen Stein zu rühren, denn Lu ther verachtete ihresgleichen zutiefst. Das erkannte Marlein an seinem Blick und der abschätzigen Art, in der er mit Griet geredet hatte.
Da gefiel ihr seine Frau schon besser, wenngleich deren Blick unversehens eine Härte bekommen konnte, vor der man sich besser in Acht nahm, wenn man nicht in Schwierigkeiten geraten wollte. Sie war nicht sonderlich erfreut, dass Mann und Muhme diesen seltsamen Gast aufgenommen hatten, das ließ sie Marlein deutlich spüren. Katharina, so lautete ihr Name, erinnerte Marlein, wenn sie sich energisch bewegte, ein wenig an die eigene Mutter, bevor die harten Winter und die vielen Freier deren Gesundheit ruiniert hatten.
Die Mägde, von denen die Rede gewesen war, hatte sie bislang noch nicht zu Gesicht bekommen, und eigentlich war es ihr auch herzlich einerlei, wer diese sein mochten, solange die Plackerei nicht an ihr hängen blieb. Da hielt sie es lieber mit der alten Muhme, die wenigstens einen Anflug von Mitleid gezeigt und ihr außerdem den Mostkrug und die dick mit Schmalz bestrichenen Brote gebracht hatte, die das Loch in ihrem Magen halbwegs füllten.
Doch den Kleinen, der ihr seinen Hasen entgegengestreckt hatte, hatte sie sofort ins Herz geschlossen, mit seinen roten Wangen, dem zerzausten blonden Schopf und den ulkigen Worten aus seinem Kindermund. So ähnlich hätte vielleicht eines Tages auch ihr Brüderchen ausgesehen, das freilich schon nach wenigen Monaten sterben musste, weil sie just in jenem Herbst erst so spät einen Unterschlupf gefunden hatten …
Marlein wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Abermals lauschte sie hinaus. Sie hörte Schritte, treppauf, treppab, Rufen, dann klang es wie lautes Weinen.
War ein Unglück geschehen?
Plötzlich hielt sie es kaum noch aus in ihrem neuen Ge fängnis, denn als solches empfand sie diese Wände, die sie vor dem Patron und seiner Rache schützen sollten, sich jedoch immer enger um sie zu schließen schienen.
Marlein begann, mit den Fäusten gegen die Tür zu schlagen.
»Lasst mich raus!«, rief sie. »Ich will raus – zu euch. Seid ihr denn alle auf einmal taub geworden?«
Doch niemand schien sie zu hören.
Sie trommelte weiter, bis ihre Fäuste schmerzten und die Knöchel zu bluten begannen.
»Raus!« Jetzt schrie sie. »Raus. Raus. Raus …!«
Die Tür öffnete sich so unvermutet, dass Marlein beinahe nach vorn gestürzt wäre.
Muhme Lene stand vor ihr, das Gesicht leichenblass, die Augen tief liegend in grauen Höhlen. Neben ihr klammerte sich Hansi an den dunklen Rock, in dem er sich zu verstecken versuchte.
»Was ist ge…«
Als der Kleine den Kopf hob, konnte Marlein plötzlich nicht weitersprechen.
Aus seinen Kinderaugen war der Glanz verschwunden. Auf den
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