Die geheime Braut
ihrem letzten Zusammentreffen: Dieses Mal durfte er sie unter keinen Umständen mit dem Leben davonkommen lassen.
*
Ein großes Geschrei war auf dem Markt entstanden, als ein wild gewordener Zuchteber aus seinem Verschlag ausgebrochen war. Kreuz und quer war er zwischen den Ständen umhergesaust und hatte die kreischende Menge in Angst und Schrecken versetzt. Inzwischen war das Tier wieder eingefangen, und zum Glück war niemandem etwas zugestoßen.
Susannas Herz schlug noch immer schnell. Sie wollte wenigstens ein paar kostbare Augenblicke mit der Heiligen Jungfrau reden und nutzte die Gelegenheit, um in das Kirchenschiff zu schlüpfen – und auszuatmen.
Den länglichen Bau empfand sie als streng und kahl. Muhme Lene hatte erst neulich von den wüsten Bilderstürmern erzählt, die vor wenigen Jahren hier erbarmungslos gehaust und alles beseitigt hatten, was sie an die verhasste katholische Vorgeschichte erinnerte.
Susannas Blicke flogen suchend umher.
Nirgendwo eine Marienstatue, zu deren Füßen sie sich hätte werfen können, um der Gottesmutter nah zu sein.
Dann musste es eben auch so gehen.
Sie kniete sich auf eine der Holzbänke und tastete nach ihrem Rosenkranz, den Bini neu aufgefädelt hatte. Ihn hier unter Luthers Predigtstuhl aus der eingenähten Tasche zu ziehen und durch die Finger gleiten zu lassen, wagte sie nicht. Doch allein die Berührung der Holzperlen durch den abgewetzten Stoff schenkte ihr neue Kraft.
Warum nur hatte sie sich vorhin auf dem Markt auf einmal so elend gefühlt?
Sosehr sie sich auch den Kopf darüber zerbrach, es wollte ihr kein vernünftiger Grund dafür einfallen. Es musste diese Schuld sein, die sie überallhin verfolgte, wo sie auch ging.
Sie faltete die Hände, schloss die Augen und öffnete ihr Herz.
Ich weiß nicht mehr weiter, Mutter Maria, betete sie stumm. Früher war das anders. In Sonnefeld wusste ich stets genau, was ich zu tun oder zu lassen hatte, aber jetzt herrscht in mir nur noch ein einziger Wirrwarr. Ängstlich fühle ich mich, innerlich wie zerrissen. Verloren wie ein verlassenes Kind. Besudelt und beschmutzt. Kannst du mir nicht helfen, damit ich wieder den richtigen Weg finde?
Sie lauschte in sich hinein, aber es kam keine Antwort, ganz anders als im Kloster, wo sie stets das Gefühl gehabt hatte, innigst mit Maria verbunden zu sein.
Vielleicht hatte die schwere Sünde sie für immer von ihr getrennt.
Eine Vorstellung, die so furchtbar war, dass Susanna erschrocken die Augen aufriss.
Die Kirche war noch immer streng und leer, aber nicht mehr ganz so dunkel. Ein Sonnenstrahl hatte sich durch das Fenster gestohlen und tauchte Luthers Kanzel in warmes Licht.
Hatte nicht seine Frau Katharina gesagt, dass er die Gottesmutter zutiefst verehre?
Der Gedanke machte sie ruhiger.
Und plötzlich wurde auch ihr Kopf wieder klar.
Sie wird mich niemals verlassen, dachte Susanna. Was immer auch geschieht. Maria ist unsere himmlische Fürsprecherin und kennt all unsere menschlichen Kümmernisse.
»Heilige Maria, Mutter Gottes«, flüsterte sie, »bitte für uns Sünder – und vergib mir!«
Dann stand sie auf, strich den Rock glatt und ging langsam hinaus. Bini würde sicher schon ungeduldig warten. Sie war schon draußen angelangt, als sie sich plötzlich noch einmal umdrehen musste.
Über dem hölzernen Portal wölbte sich ein zweireihiges Tympanon aus hellem Stein. Und inmitten anderer Heiligenfiguren, die dem Zorn der Bilderstürmer offenbar entgangen waren, fand sie das, wonach sie bislang vergeblich gesucht hatte: die thronende Gottesmutter mit dem Jesuskind.
*
Jan straffte sich, bevor er die Werkstatt betrat. Schon längst hätte er sich zu diesem Schritt aufraffen sollen, doch heute gab es kein Zurück mehr.
Die beiden Cranach-Söhne Hans und Luc waren gerade dabei, Eichenbretter zu brauchbaren Bildtafeln zu verleimen, eine Aufgabe, der Luc mit Feuereifer nachging, während sein älterer Bruder sichtlich gelangweilt dabei wirkte.
Der Meister, der an einer Staffelei stand, ließ sie dabei nicht aus den Augen. Plötzlich schoss er zu seinen Sprösslingen.
»Muss man euch denn alles hundertfach sagen?«, rief er und riss Hans die Tafel aus der Hand. Unter seinem festen Griff löste sie sich prompt in mehrere Teile auf, die krachend zu Boden fielen. »Kernseite an Splintseite, sobald es drei und mehr Bretter sind! Und die Kernseiten immer nach außen, verstanden?«
Luc zog erschrocken den Kopf ein, während Hans aufsässig
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