Die geheime Mission des Nostradamus
dem Hof hin und her reiste, und wenn es eine argwöhnische alte Duena schaffte, ihm bei jedem gesellschaftlichen Anlaß den Weg zu verstellen. Dieses Mal, dieses Mal mußte es gelingen, Sibille würde sich hoffnungslos in ihn verlieben, und er wäre seine Geldsorgen für immer los.
Eine laue Junibrise kräuselte das Wasser des Sees und wehte den Klang einer Laute, mit der ein junger Mann seiner Herzallerliebsten weit draußen in einem Boot auf dem Wasser aufspielte, ans Ufer. Doch der melancholische Bursche, der die Schwäne fütterte, nahm keine Notiz von dem hübschen Anblick. Es war ihm gelungen, aus dem Haus seines Vaters mit nur einem einzigen Aufpasser zu entkommen. Er hatte behauptet, er sei so dünn geworden, daß er ins Bad müsse, um sich vor der langen und gefahrvollen Reise über die Alpen und in die Verbannung zu erholen. Immer wieder probte er, was er sagen wollte. Sie war hier, seine himmlische Göttin, und er würde nur einen Augenblick haben, um ihr Lebewohl zu sagen. Angenommen, sie glaubte, er hätte sie verlassen? Angenommen, ein anderer Mann hatte sich seine Abwesenheit zunutze gemacht und Lügen über ihn verbreitet, Zweifel gesät? Angenommen, sie weigerte sich, mit ihm zu sprechen?
Dann würde er still gehen, dahinsiechen und sterben… Was würde seinem Vater mehr ausmachen, wenn er unterwegs dahinsiechte und starb oder wenn er das erst im Haus seines Onkels in Genua tat? Gleichviel, ein grausames Geschick würde das auf die tragischste Weise erledigen.
»Monsieur Nicolas, es tut nicht gut, hier Trübsal zu blasen und zu verweilen; Ihr müßt baden, sonst werdet Ihr nicht gesund für die Reise.« Hmm, dachte Nicolas, wie werde ich Bernardo los? Was für ein Glück, daß ich herausgefunden habe, daß sie hier ist. Aber was nutzt es mir, wenn ich den Aufpasser meines Vaters nicht abschütteln kann? Er wird alles erzählen. Lässig schlenderte er zum Eingang des Badehauses, und der alte Diener blieb ihm dicht auf den Fersen.
»Mein Gott, sieh dir die Tafel da an«, sagte Nicolas in einiger Entfernung vom Eingang. »Ich darf Schwert und Messer nicht mit hineinnehmen. Bernardo, könntest du sie in mein Zimmer bringen?«
»Erst wenn Ihr wohlbehalten drinnen seid. Solange Ihr noch Kleider tragt, könntet Ihr entfliehen.«
»Nicht ohne mein Schwert. Du weißt, es ist zu kostbar, um es zurückzulassen.« Widerstrebend sah der Ältere zu, wie sich Nicolas an einen Baum lehnte und in seiner Börse nach dem Eintrittsgeld kramte. Er sah noch magerer und hohläugiger aus als zu der Zeit, als er sich in Bologna in die Nichte eines Kanonikers verliebt hatte, die man flugs zu Verwandten auf dem Land verfrachtet hatte. Armer alter Mann, dachte der Diener; dieser undankbare Taugenichts ist sein einziger Sohn.
Während Bernardo sich zurückzog, ohne seinen Schützling aus den Augen zu lassen, war Nicolas zum Eingang geeilt. Er entrichtete sein Eintrittsgeld und begab sich ins Badehaus.
Als er sich umgekleidet hatte und in den Bogengang hinaustrat, fiel sein Blick auf d'Estouvilles modisches Bärtchen und sein strahlendes Lächeln, und er hörte sein munteres Plaudern, während er Sibille zum Beckenrand geleitete. Seine Sibille, schöner als eine Nymphe, tauchte sie mit Kopf und Schultern aus dem Wasser auf. Und darunter klebte das nasse Hemd an ihrem Körper… Nicolas spürte, wie er am ganzen Leibe erbebte. Diese Entweihung! Dieser widerliche Frauenheld, so nah, so dreckig! Er blieb sprachlos stehen und beobachtete, wie d'Estouville Sibille über die Stufen des Beckenrands half, sie zu den Damenkabinen geleitete und selbst in der Umkleidekabine der Herren verschwand.
Dem werde ich's zeigen, dachte er zähneknirschend. Und schon tauchte sein Widersacher wieder im Eingang zur Kabine auf – in ein Handtuch gewickelt und in der einen Hand sein Wams. Alle Farbe wich aus d'Estouvilles Gesicht, als er Nicolas im Laubengang erblickte, und er blieb verdutzt stehen. In dem Moment fiel ein Fläschchen aus der Tasche seines Wamses und rollte Nicolas geradewegs vor die Füße. Noch ehe d'Estouville bei ihm war, hatte der Bankierssohn das Fläschchen aufgehoben; ein kurzer Blick auf die Beschriftung, und der junge Mann brach in höhnisches Gelächter aus.
»Fürwahr, seht Euch das an«, sagte er laut und vernehmlich, während er den Gegenstand in seiner Hand musterte, »eine Flasche mit einem Liebestrank.«
»Gemeiner kleiner Mistkerl, gebt mir das zurück!« rief der Rittmeister.
»Liebestrank! Liebestrank!«
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