Die geheime Mission des Nostradamus
Gefängnis hatte bewirkt, daß er sich nie mehr freuen konnte. Inmitten von Possen, Streichen, Späßen und Intrigen eines vergnügungssüchtigen Hofes blieb er ungerührt. Ob geistreich oder humorlos – jede Bemerkung verfehlte ihre Wirkung auf ihn. Musik, Wein, Zoten, alles ging an ihm vorbei. Seine Zerstreuungen waren die Jagd, Kriege und seine betagte Mätresse, die ihn entfernt an seine längst verstorbene Mutter erinnerte. Seine Tage teilte er ein wie ein durch die Pflicht aufgezogenes Uhrwerk. Kein Mensch hatte ihn jemals lachen sehen.
Zu seiner Linken und etwas hinter ihm schritt sein engster Berater, der Alte Konnetabel Anne de Montmorency, Großmeister und Konnetabel von Frankreich. Darüber hinaus bekleideten er selbst oder Mitglieder seiner Familie die Ämter als Oberster der französischen Infanterie, Admirai von Frankreich und Gouverneur der vier größten Provinzen, der Provence, des Languedoc, der Picardie und der Isle de France. Zur Rechten des Königs ging der Hauptrivale des Alten Konnetabel, der Herzog von Guise, auch als »Die Narbe« bekannt, Oberhaupt der zweitmächtigsten Familie des Königreiches. Durch Heirat war er mit der Mätresse des Königs, Diana von Poitiers, verschwägert, und mit dem Dauphin selbst war er verbunden durch dessen Verlobung mit Guise' Nichte Maria, die als Kleinkind die Krone Schottlands geerbt hatte. Hinter der »Narbe« folgte sein jüngerer Bruder Karl, Kardinal von Lothringen, mit der bauschigen roten Robe und dem Pektorale eines Kardinals der römischen Kirche. Die Brüder Guise schmiedeten insgeheim weitreichende Pläne, nämlich die Vereinigung der Königreiche Frankreich, Schottland und England unter ihrer Gewalt. Und als nächstes sollten alle drei Königreiche von protestantischer Ketzerei gesäubert werden.
Die Karten waren bereits ausgeteilt: Maria, die »Mädchenkönigin« der Schotten, war durch ihre Mutter, die Schwester des Kardinals und des Herzogs, eine Guise. Und weil sie väterlicherseits direkt von Heinrich VII. von England abstammte, war sie die letzte legitime katholische Erbin des englischen Throns, wenn Edward, der kränkliche Sohn Heinrichs VIII. und Maria, die kinderlose Tochter der ersten katholischen Gemahlin Heinrichs VIII. gestorben wären. Prinzessin Elisabeth, Liebling der protestantischen Partei, die nach der Scheidung Heinrichs VIII. von Anne Boleyn geboren wurde, war für die katholische Partei ein Bankert ohne Thronansprüche. Die Maria der Guise war die legitime Erbin und dazu ausersehen, England wieder in den Schoß der katholischen Kirche zurückzuführen. Ihre Onkel, die Brüder Guise, blendeten den König mit ihrem Anspruch und der Aussicht, daß sein Erbe durch Heirat mit ihrer Nichte König in drei Königreichen werden könnte.
Die Vermählung würde die Vorherrschaft der Guise besiegeln, und der Alte Konnetabel Montmorency tat sein Möglichstes, diese seiner eigenen Familie zuliebe hinauszuzögern oder zu verhindern.
Die Brüder Guise waren brillant, wußten sich aber in Geduld zu üben; sie spielten nicht um schnelle Erfolge. Mit sechs Jahren hatten sie die kleine Maria aus Schottland herausgeschmuggelt und dafür gesorgt, daß sie all die Jahre zusammen mit dem Dauphin erzogen und von Diana von Poitiers in den Künsten ausgebildet wurde, die den König bezauberten und seinen kränklichen, einfältigen Sohn in Schach halten würden. Man hielt das Mädchen zu Eitelkeit und weiblicher Keckheit an, vor allem aber dazu, sich an ihre lieben Onkel, den Herzog und den Kardinal, zu wenden, wenn sie ernstlich Rat benötigte. Deren Puppenspiel war fast fertig aufgebaut. Irgendwann würden sie – mit Hilfe Marias – herrschen.
Diesen ränkeschmiedenden Rivalen und Unterstützern des Throns folgte ein Schwarm Höflinge, die höchsten Edelleute, militärischen Befehlshaber und Landbesitzer des Reiches, alle in Satin und goldbesticktem Samt, in seidene Kniehosen gekleidet, mit schimmernden Strumpfbändern und Schamkapseln, die sich wölbten und wie ihre wattierten Wämser ausgestopft waren. Der Dauphin, ein verwachsener und übellauniger Knabe, begleitete seinen Vater. Er besaß nichts von der Würde des Königs, dessen düsteres Profil mit der langen Nase ihm den Anstrich großer Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit verlieh. Doch der König, der jetzt auf dem Höhepunkt seiner Macht stand, hegte den Wunsch, sein Sohn möge eines Tages ein noch größerer König sein, als er selbst es war.
»Oh, der Garten der Freuden«, hauchte
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