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Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle Riley
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Typisch Gasthofsbesitzer. Ei, der gibt einem noch ein Zimmer, aus dem man gerade eine Leiche herausgeschafft hat! Schamlose Schurken! Du da, sag mir, was deinem Herrn fehlt.«
    Der Diener raffte sein letztes bißchen Geduld zusammen und sagte: »Mein Herr, der große Nostradamus, hat keine ansteckende Krankheit!«
    »Und woher will er das wissen?« entgegnete Tantchen, während ich mich immer kleiner machte und den Himmel anflehte, daß niemand diesen Wortwechsel mit anhörte.
    »Madame, mein Herr ist der beste Pestarzt auf der ganzen Welt. Und wenn er sagt, daß er keine ansteckende Krankheit hat, dann hat er auch keine. Und jetzt laßt mich bitte durch.« Ja, dachte ich, den Mann kenne ich. Jetzt war ich mir sicher. Es war der Diener, der dem aufdringlichen alten Mann, dem ich auf der Landstraße nach Orléans begegnet war, das Pferd gehalten hatte.
    »Tantchen«, flüsterte ich, »es ist wirklich der Diener von Maistre Nostredame, dem großen Wahrsager.«
    »Und wenn er der Erzengel Gabriel ist. Ich will seine Symptome wissen, sonst bleibe ich nicht in diesem Zimmer.«
    »Es handelt sich um einen Rückfall: seine alten Beschwerden, die Gicht. Er hat Schmerzen, als würde man ihm heiße Eisen durch jedes Gelenk bohren. Und jetzt, Madame, laßt mich vorbei.«
    »Heiße Eisen, aha«, sagte Tantchen, ließ jedoch ihren Spazierstock nicht sinken, sondern stieß ihn dem unseligen Diener in die Brust. »Nein, das sollte sich nicht wie heiße Eisen anfühlen – das ist etwas anderes.«
    »Madame, ich schwöre Euch, es ist die Gicht.«
    »Nein, die ist es nicht. Es hört sich an, als hätte man ihn verhext. Aber derlei Verhexungen sind nicht ansteckend. Du kannst gehen, Bursche. Falls dein Meister von dem bösen Zauber befreit werden möchte, so bin ich darin eine Art Expertin. Er braucht mir nur Nachricht zu schicken. Wir werden die nächsten beiden Tage hier sein und danach in Saint-Germain. Wir haben eine Audienz bei der Königin.«
    »Tantchen«, flüsterte ich, »das ist Nostradamus, der weiß alles, er kann in die Zukunft sehen.« Und da bietet sie ihm guten Rat gegen Verhexungen an, so als wäre er ein Ignoramus und würde sich nicht mit übernatürlichen Dingen auskennen. Schon wieder wäre ich am liebsten im Boden versunken.
    »Sibille, ich weiß, wer Nostradamus ist, genauso wie ich weiß, daß er ein Mann ist. Männer haben keine Ahnung, wie man Verhexungen unwirksam macht.« Mit diesen Worten setzte sie ihren Spazierstock wieder auf den Boden und stützte sich schwer darauf, während sie argwöhnisch das Zimmer betrat, die Wände beschnüffelte, die Bettdecken anhob und musterte. »Die Laken hier werden noch nicht gewechselt«, verkündete sie. »Sibille, sag bitte dem Diener, wenn er zurückkommt… Ach, da bist du ja wieder. Hast du noch einmal über die Verhexung nachgedacht?«
    »Madame, ich muß den Schrank überprüfen, er hat, glaube ich, etwas vergessen… O mein Gott.« Als er die schweren Türen aufmachte, sahen wir alle, was auch er sah. Soeben materialisierte sich auf einem Bord dieser unselige Kasten.
    »Ihr verfluchten Wichtigtuer«, schimpfte das Ding darin, »habt ihr nichts Besseres zu tun, als den ganzen Tag einzukaufen? Zuerst langweilt ihr mich fast zu Tode, und dann laßt ihr mich in der Sänfte im Pferdestall liegen. Ich sage euch, ich erwarte mehr Respekt.«
    Beim Klang der Stimme aus dem Kasten fiel der fremde Diener in Ohnmacht.
    »Baptiste, hol Wasser«, sagte Tantchen. »Mir scheint, wir haben ein Problem. Was mag es wohl kosten, sein Schweigen zu erkaufen? Gewißlich können wir ihn nicht ohne eine Erklärung gehen lassen. Das Ding ist, gesellschaftlich gesehen, eine unerträgliche Last. Sibille, was ist nur über dich gekommen, daß du die Schachtel geöffnet hast?«

    »Ein sprechender Kasten, sagst du, Léon? Wie hat er ausgesehen?« Nostradamus lag, noch ganz betäubt vom Opium, in einem reichverzierten Bett in einem der Gästezimmer des labyrinthischen mittelalterlichen Stadthauses, das Kardinal Bourbon als Pariser Heim diente. Er hatte die Bettdecke von seinen schmerzenden Beinen zurückgeschlagen und streckte die nackten, geschwollenen Füße hervor. Die nahmen allmählich eine mattblaue Färbung an.
    »Versilbert, reichlich verziert, mit Buchstaben über dem Schloß. So etwas wie Agaba, Orthnet…«
    »Nicht wiederholen, Léon, denn falls es das ist, was ich vermute, wäre es… höchst unklug.« Nostradamus sprach langsam und bedächtig, doch sein Diener wußte, daß er

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