Die geheime Mission des Nostradamus
daß ein Mann nur nach Schönheit trachten, nur aus wahrer Liebe heiraten sollte. Meint Ihr nicht auch?«
»O ja, natürlich«, antwortete Sibille erleichtert.
An diesem Abend klopfte es an die Tür der Räume, die der Abbé in der Kleinstadt zu Füßen des Schlosses gemietet hatte. Ein kleiner Page sagte: »Für Demoiselle de la Roque«, und drückte dem erstaunten Abbé einen Brief in die Hand.
»Was steht drin?« fragte er, während Tantchen versuchte, den Brief über Sibilles Schulter zu lesen.
»Es ist ein Rondeau – von Monsieur d'Estouville –, und es ist mir gewidmet«, antwortete Sibille, und dabei überzog ein rosiger Hauch ihren olivfarbenen Teint, und ihre Augen strahlten vor Freude, weil sich unerwartet ein heimlicher Traum erfüllt hatte.
»Ich habe noch nie gehört, daß er Gedichte schreibt«, wunderte sich Tante Pauline.
»Aber er schreibt welche, und das hier ist eins, und es ist obendrein sehr nett. Hört Euch das an: ›Rose, du errötest vor Neid auf meiner Sibille leuchtenden Blick…‹«
»Wahrscheinlich hat er es schreiben lassen und dafür gezahlt«, entrüstete sich Tante Pauline.
»Hübsch formuliert, die Zeile ist sehr ausgewogen«, meinte der Abbé.
»Sein Interesse kommt mir ein wenig plötzlich«, wandte die alte Dame ein.
»Er ist mit Annibal unterwegs gewesen. Außerdem ist es nur natürlich, daß man bei Hofe neue Freunde findet.«
»Ganz recht«, sagte eine gedämpfte, sarkastische Stimme im Kasten auf dem kleinen Tisch. »Und gewiß verschwendet er keinen Gedanken an all das Geld, das du einmal erbst.« Aber Sibille war so glücklich, daß sie den Einwand überhaupt nicht hörte.
Die Gattin von Katharinas italienischem maistre d'hostel, Madame d'Alamanni, stellte die hochgewachsene junge Frau der Königin vor, die im Kreise ihrer Hofdamen thronte. Auf einem Stuhl nahe der Raummitte erkannte Sibille die Herzogin von Valentinois an ihrem schwarz-weißen Kleid; ihr spitzes Gesicht war nicht mehr jung, aber offenkundig sorgfältig gepflegt. Sie war in eine Unterhaltung mit einer ihrer Hofdamen vertieft. Außer ihr saßen nur die beiden anwesenden Königinnen auf Stühlen, das rothaarige Mädchen, die Königin der Schotten, und die Königin von Frankreich. Diese hatte sich auf einem geschnitzten Polstersessel an einem reichverzierten Tisch niedergelassen, auf dem mehrere prachtvolle Bücher lagen. Demoiselle de la Roque – ihre Tante hatte sie bestens instruiert – näherte sich und machte einen tiefen Hofknicks, dann reichte sie der Königin zunächst zwei dünne gebundene Bücher im Quartformat mit schön gearbeitetem Ledereinband und eine versilberte Schatulle mit seltsamem Muster.
Wer in der Nähe auf einem der Samtpolster saß, die auf dem farbenprächtigen Orientteppich verstreut waren, konnte mehr oder weniger der Unterhaltung folgen, doch war diese nicht so ungewöhnlich, daß sie von dem üblichen Gesellschaftsgeplänkel des Nachmittags hätte ablenken können: vom Schöne-Augen-Machen, von Musik, Kartenspiel und der Lesung eines Dichters, der ein Werk vortrug, das die göttinnengleiche Schönheit der vierzehnjährigen schottischen Königin pries. Das junge Mädchen auf seinem Stuhl war groß – größer als so mancher Franzose, und es würde noch weiterwachsen; die Hofdichter sahen seit neuestem von rühmenden Vergleichen mit Elfen und Feen ab und verlegten sich auf größer geratene Wesen. Einige Gattinnen von Katharinas italienischen Günstlingen bei Hofe schwatzten in ihrer Muttersprache – es ging um Fieber beim Zahnen –, und weiter hinten ließ ein junger Hofmann, von seinen Freunden angefeuert, seine Hand verstohlen unter die Röcke einer jungen Demoiselle gleiten, die sich angeregt mit zwei vor kurzem vom Land angereisten Basen unterhielt.
»Es ist mir eine Ehre, Euch dies anzubieten…«, sagte Sibille, und die Königin nickte und verzog den Mund zu einem flüchtigen, aber eindeutig triumphierenden Lächeln.
»Es ist ganz rot geworden und hat die ganze Nacht gebrüllt, und ich habe der Amme Anweisung gegeben…«, erzählte eine der italienischen Damen.
»Ihr sagt, es gibt da ein Problem? Nichts Ernstes hoffentlich…« Die Stimme der Königin erhob sich über das Geplauder.
»Zähne schimmernd wie Perlen des Orients…«, ließ sich die Stimme des Dichters in der Ecke leise vernehmen.
»Das Ding verblaßt, anscheinend folgt es mir überallhin. Doch die Ehre, im Besitz einer Person von Eurem Range zu sein, wird es hoffentlich dazu bewegen,
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