Die geheime Stunde
Da drüben ist man ganz auf sich selbst gestellt. Soll ich die Polizeistation in Fairhaven einschalten?«
»Nein, ich kann immer noch die Auskunft anrufen.«
Billy winkte, kehrte ins Witch’s Brew zurück. Als die Tür aufging, drang ein Schwall lauter Musik und Stimmen nach draußen. John erhaschte einen Blick auf die Besucher, die zahlreichen Frauen an der Bar. Er stellte sich vor, wie sie sich amüsierten, anbändelten. Er dachte an Sally, und an Theresa. Wenn die Mädels alleine um die Häuser zogen, hatten sie hin und wieder auch das Witch’s Brew an einem Freitagabend besucht.
Dann dachte John an Kate Harris. Was sie heute Abend wohl machte? Ob sie jetzt in der Bar war?
Irgendwie hatte er das Gefühl, dass dem nicht so war. Er stellte sich das East Wind vor, hoch oben auf der Klippe, mit Blick auf das Meer. Dort draußen würde es jetzt ungemütlich sein, bei dem Eisregen, der vom Atlantik herübertrieb, wenn der Leuchtturm die tief hängenden Sturmwolken erhellte und sich weiße Schaumkronen auf den Wellen bildeten. Seine Finger streiften das Foto ihrer Schwester, das sich immer noch in seiner Tasche befand.
Er hatte das Gefühl, als sei er innerlich erstarrt. Er dachte an Kate Harris, eine Wildfremde, die ihm ihre Geschichte ohne Vorbehalt erzählt hatte – als brauche sie dringend einen Menschen, dem sie vertrauen und mit dem sie reden konnte, und als wäre John dieser Mensch – schon bei der zweiten Begegnung. Als Billy ihm zu nahe gerückt war und versucht hatte, mit ihm über Theresas Untreue zu sprechen, hatte er ihn zurückgestoßen.
Vielleicht konnte er nur mit jemandem darüber reden, der das Gleiche mitgemacht hatte. Ehebruch war eine sehr persönliche Sache. Eine der intimsten zwischen zwei Menschen, die miteinander verheiratet waren. Liebe machen, die Hochzeit planen, ein Kind in die Welt setzen, das erste Weihnachtsessen zubereiten, den ersten Elternabend in der Schule besuchen: All diese Gemeinsamkeiten schweißten ein Paar mehr und mehr zusammen, Erfahrungen, die nur sie teilten und kannten, Erinnerungen, die sie mit ins Grab nehmen würden.
Ehebruch gehörte bisweilen ebenfalls zu dieser Liste. Der dunkle Schatten der glanzvollen Zeiten, die Kehrseite der Ehe-Medaille. In Theresas Fall hatte die Untreue tiefe Einschnitte hinterlassen, aber dafür mussten viele Voraussetzungen erfüllt sein: Die Beziehung musste auf einem Fundament von Vertrauen, Hoffnung, Dauerhaftigkeit, Familie und Liebe gründen. Was für einen Unterschied hätte ein Seitensprung gemacht, wenn diese nicht vorhanden gewesen wären?
John hatte sie über alle Maßen geliebt. Er erinnerte sich an seine Studienzeit; sie hatte seine Schultern massiert, wenn er büffelte, und er brachte ihr am Wochenende das Frühstück ans Bett. Sie waren unzertrennlich gewesen, dass sie ihn sogar manchmal zu Vorlesungen begleitete, sich Irving Youngers Tonbandvorträge über Beweismittel anhörte und stundenlang Abhandlungen über Vertrags- und Strafrecht über sich ergehen ließ. Wieder erinnerte er sich an den Geschmack des Champagners auf ihren Lippen, den sie damals hinter der Garage getrunken hatten.
John hätte nie für möglich gehalten, dass sie sich jemals auseinander leben könnten. Es war langsam geschehen, unmerklich. Hochzeitstage und Geburtstage, die, wenn nicht ganz vergessen, so doch vernachlässigt wurden. Er hatte seine Frau als selbstverständlich betrachtet. Und umgekehrt – bisweilen war er sich wie eine wandelnde Geldbörse und nicht wie ein Mann vorgekommen. Sie kaufte, er zahlte. Sie liebte die Kinder und war ihnen eine vorbildliche Mutter; sie ermöglichte ihm, Überstunden zu machen, an Konferenzen teilzunehmen und letztlich nicht so oft zu Hause zu sein, wie er es sich gewünscht hätte.
Ihr Sexualleben. Er hatte sich eingebildet, es sei gut. Besser als das Liebesleben der durchschnittlichen Kleinstadt-Paare, die schon lange miteinander verheiratet waren. Sie hatten gehört, wie ihre Freunde bei Partys ihre Witze darüber machten, wie sie der eingefahrenen Beziehung mit Pornofilmen, Massageöl und Wochenenden in Motels mit herzförmiger Badewanne mehr Würze verliehen. John und Theresa hatten gelacht, ein wenig peinlich berührt, dass ihre Freunde solche Dinge brauchten. Sie genossen, was sie hatten! Vielleicht nicht oft genug – irgendjemand schlief immer ein, bevor sich die Chance bot –, aber wenn es passierte, dann bebte die Erde.
Zumindest für John. Theresa hatte ihn immer erregt. Nicht nur,
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