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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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jemandem, der plötzlich und unerwartet ihren Weg kreuzte, vor jemandem, der allein durch seine Gegenwart alles verdorben hatte.
    Als sie schließlich bei ihrem Haus in Chelsea ankamen, erwartete sie ein Brief. Er war von Lady Blythe, die sie nach Drakesden einlud.

8
    AM ERSTEN SONNTAG im Mai fuhren sie nach Drakesden. Die Karosserie des Delage war repariert worden, und er fuhr ruhig und problemlos über die holperigen Straßen. Der Himmel erstrahlte in klarem Blau, und über den Fens konnten sie die Insel von Ely sehen und die Silhouette der Kathedrale, die sich rötlichgrau am Horizont abzeichnete. Der schwere, süßliche Duft von Maiblüten lag in der Luft, und die Wasserwege glitzerten wie Bänder aus Silberspitze.
    Am Horizont tauchte das Dorf auf: die Kirche, die verstreuten Cottages aus gelbem Ziegelstein, die abseits liegenden Farmen und Anwesen der Kleinpächter. Und Drakesden Abbey, das hoch und trutzig alle anderen Gebäude überragte. Als sie durchs Dorf fuhren, stieß Thomasine kleine Freudenschreie aus, wenn sie etwas wiedererkannte.
    Â»Da ist das Cottage der Dockerills … und sieh nur, die vielen Reklameschilder am Krämerladen, Nick. Es sieht so modern aus. Und Quince Cottage – ah, es ist noch ganz das alte …«
    Sie fuhren den Hügel zu den Toren von Drakesden Abbey hinauf. Auf der Hälfte des Weges blieb Nicholas stehen. Thomasine sah ihn an und bemerkte, daß er verwirrt und nervös aussah.
    Â»Was ist los, Nick?«
    Nicholas schüttelte den Kopf. »Es hat sich so verändert. Sieh nur …« Er rieb sich die Augen. »Wie verwildert alles ist. Im Kies wächst Unkraut. Da war nie Unkraut ! Es gab einen Jungen, dessen einzige Aufgabe darin bestand, die Einfahrt von Unkraut frei zu halten.«
    Thomasine sah, daß der Garten nicht ganz so perfekt gepflegt war, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Manche Büsche mussten beschnitten werden, und die Rabatten und Sträucher waren nicht mit der gleichen Akkuratesse zurechtgestutzt wie früher.
    Â»Sogar das Haus  …«, fügte er ungläubig hinzu. »Die Fensterstöcke müßten neu gestrichen werden.«
    Seine Hände auf dem Lenkrad zitterten. Er warf Thomasine einen kurzen Blick zu und flüsterte: »Ich war krank, als ich das letzte Mal hier war. Und ich möchte nicht mehr krank werden.«
    Sie legte ihre Hand auf die seine und beruhigte ihn. »Der Krieg hat dich krank gemacht, Nick«, sagte sie besänftigend. »Das ist jetzt, nach drei Jahren, alles vorbei.«
    Er antwortete nicht, sondern starrte auf das große Haus und die Gärten. Dann murmelte er: »Kannst du es nicht hören, Thomasine? Die Stille. Ich vertrage die Stille nicht. Ich brauch Lärm …«
    Man hörte nur das sanfte Rascheln der Brise in den Bäumen und das leise Zirpen von Vögeln und Insekten. Beschwichtigend sagte Thomasine: »Vielleicht schläfst du besser, wenn es ruhig ist, Nick. Du hast in letzter Zeit so müde ausgesehen.«
    Während der vergangenen Wochen waren sie oft nicht vor dem Morgengrauen ins Bett gekommen. Unter Nicholas’ Augen lagen dunkle Schatten, und seine gebräunte Haut war seit ihrer Ankunft in England blaß geworden. Häufig machte sie sich Sorgen um seine Gesundheit und versuchte, ihn zu überreden, sich auszuruhen und die hektischen Besuche von Nachtklubs, Theatern und Partys für eine Weile einzustellen. Aber das hatte er abgelehnt, und wenn er gelegentlich schwankte, war immer Simon zur Stelle, der ihn anstachelte und sich über ihn lustig machte, weil er mit den andern nicht mithalten konnte. Sie verachtete Simon inzwischen und nahm an, daß er ihr gegenüber das gleiche empfand.
    Â»Ich brauche Leute  …«
    Â»Du hast mich, Nick. Du hast doch immer noch mich.« Thomasine umarmte ihn und bemerkte, welche Ironie darin lag, daß sie sich inzwischen über Lady Blythes Einladung nach Drakesden freute. Sie war überzeugt, daß die Abwesenheit von London und die Trennung von Simon Melville Nicholas nur guttun würden. »Und du möchtest doch auch deine Eltern wiedersehen, nicht?«
    Endlich lächelte er. »Ja, natürlich. Die liebe Mama …« Er drückte aufs Gaspedal und fuhr zum Eingangsportal des Hauses. Dort zog er die Handbremse an und kletterte aus dem Wagen.
    Â»Da ist Hawkins.«
    Der Butler begrüßte ihn, und ein Junge wartete in der

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