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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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wollen, müssen Sie sich schon ein bißchen mehr anstrengen. Von Ihrer Sorte gibt es Tausende, Daniel. Herkunft, Geld und Aussehen – das braucht man zum Erfolg. Angeblich reichen zwei dieser Dinge aus, um es schaffen zu können. Aber Sie, mein Lieber – Sie haben bloß eines, also sollten Sie sich besonders ins Zeug legen.«
    Sie hatte eine Zigarette in ihre Zigarettenspitze gesteckt. Daniel suchte in seiner Tasche nach Streichhölzern, um ihr Feuer zu geben.
    Â»Ich dachte, ich hätte mich ganz wacker geschlagen. Ich hab den Mund gehalten, als dieser alte Trottel meinte, wenn Frauen unter Dreißig das Wahlrecht hätten, würde Großbritannien bei den nächsten Wahlen dem Kommunismus anheimfallen – ich hab bloß hm und ah gesagt, als seine Gattin anfügte, daß die jungen Frauen so wählen würden, wie ihre Ehemänner und Väter es ihnen vorschrieben …«
    Eine weiße Fingerspitze legte sich auf seine Lippen und brachte ihn zum Schweigen. »Seien Sie nicht albern, mein Lieber«, sagte Anthea Millford mit zuckersüßer Stimme. »Ich wollte, daß Sie sich mit ihnen anlegen. Warum glauben Sie wohl, daß ich Sie allen vorstelle?«
    Er starrte sie an. Er hatte zuviel getrunken, um mit der üblichen Schnelligkeit zu denken.
    Â»Die Leute finden das amüsant. Es macht diese Art von Partys ein bißchen weniger langweilig«, fügte sie hinzu.
    Ihre kleinen, saphirblauen Augen sahen ihn kühl an. Als er schließlich begriff, hatte er das Gefühl, er hätte einen Kübel kaltes Wasser über den Kopf bekommen.
    Â»Ah ja«, erwiderte er ruhig. »Sie wollten, daß ich provoziere? Die Regeln ein bißchen verletze?«
    Â»Natürlich, mein Lieber. Wie gesagt, Sie sehen gut aus, aber das ist auch schon alles. Intelligenz zählt bei diesen Leuten nicht. Aber jemand, der nur ein ganz kleines bißchen … anders ist, kann sich eine Stellung in der Gesellschaft verschaffen.«
    Er lehnte an der Kaminbrüstung und beobachtete sie. »Also betrachten Sie mich als … Ihr Zirkusäffchen. Ich bin hier, um Kunststückchen vorzuführen, der Gesellschaft einen Spaß zu bieten?«
    Er merkte, daß er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.
    Â»Jetzt schauen Sie nicht so verdrossen, mein Lieber. Schließlich kriegen Sie am Ende des Abends Ihre Belohnung dafür.«
    Sie war offensichtlich vollkommen überzeugt, daß sie nur mit dem Finger zu schnippen brauchte, und er würde Purzelbäume schlagen und mit ihr ins Bett gehen. Er beugte sich vor und flüsterte ihr ins Ohr: »Die Sache ist nur die, daß wir Rüpel vom Land uns nicht wirklich benehmen können. Und im Bett sind wir nicht viel besser. Ihr könnt von Glück sagen, wenn wir wenigstens vorher die Socken ausziehen. Sind Sie wirklich sicher, daß Sie sich das antun wollen?«
    Auf ihren Wangen leuchteten zwei rote Flecken, und ihr Mund war zu einem starren Strich zusammengepreßt.
    Â»Wir könnten es gleich hier machen«, fügte Daniel hinzu. »Eine schnelle Nummer an der Wand, und Sie könnten entscheiden …«
    Ihre Hand schlug ihm ins Gesicht. Als Anthea Millford davonstolzierte, sah ihr Daniel nach und rieb sich das Kinn, wo ihre Ringe Spuren hinterlassen hatten. Gleich darauf entdeckte er in dem überfüllten Ballsaal ein bekanntes Gesicht. Lally Blythe.
    Irgendwie überstand Thomasine die abendlichen Tanzstunden. Nachdem ihre letzte Schülerin gegangen war, klappte sie den Klavierdeckel herunter, nahm das Tablett, das Mrs. Price für sie gebracht hatte, und ging auf ihr Zimmer.
    Sie konnte den Lancashire-Eintopf und den Reispudding nicht essen. Ihr war kalt, und obwohl sie das Gas höher drehte und sich in ihre Daunendecke wickelte, wurde ihr nicht warm. Sie dachte an ihren Sohn, den sie verloren, und an Daniel, den sie verletzt hatte. Für William könnte sie jetzt nichts mehr tun: Er würde sich ihr entfremden. In ein paar Jahren würde er Drakesden verlassen und ins Internat kommen. Er würde aufwachsen, wie Nicholas aufgewachsen war: in rein männlicher Umgebung, abgeschnitten von Heim und Familie, und lernen, seine Wünsche und Ängste zu verbergen. Sie dachte an ihre eigene Zukunft, an ihre Karriere. Doch heute abend vermochte ihr nicht einmal dieser Gedanke Trost zu spenden. Heute abend erschienen ihr Geld und Erfolg als schwacher Ersatz für ihre

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