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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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ankündigte. Seitdem wanderte er durch die Straßen von London und suchte Arbeit, fand aber wenig. Es gab Tausende anderer Exoffiziere, die ebenfalls auf der Suche nach Arbeit waren. Die Stellengesuche in den Zeitungen waren voll von ihren Anzeigen: »Offizier, 27, vier Jahre im Dienst, Abstinenzler, sucht Arbeit jeglicher Art.«
    Â»Fregattenkapitän, Königliche Marine, 39, verheiratet, leitender Offizier während des Krieges, sucht Arbeit. Angemessenes Gehalt.«
    Weil er Offizier gewesen war, bekam Daniel kein Arbeitslosengeld. Offiziere waren Gentlemen, und Gentlemen verfügten über ein privates Einkommen oder Beziehungen und brauchten daher keine Unterstützung. Er bekam seine Abfindungssumme, das war alles. Mitte 1919 war von der Abfindung fast nichts mehr übrig.
    Da er sein Hinken nicht verbergen konnte, kam er für die Art von Arbeiten, für die sich ein Mann seiner Schicht bewerben konnte, nicht in Frage. Er taugte weder für die Docks noch für die Eisenbahn, noch für Bauarbeit. Genausowenig eignete er sich fürs Büro. Er war zu intelligent für bloße Schreibarbeiten, und für etwas Besseres fehlte ihm die Ausbildung. Wenn er Arbeit in einem Büro fand, haßte er sie und behielt den Job nie länger als ein paar Wochen. Er wußte, daß er seine abgebrochene Schulbildung nachholen mußte. Er entlieh sich auch Bücher aus einer öffentlichen Bibliothek, schlief aber ein, wenn er versuchte, sie zu lesen. Auf Drängen eines Freundes ging er einmal zu einer Versammlung der Labour-Partei, wo er peinlicherweise die Hälfte des Abends verdöste. Noch immer schlief er nachts schlecht, obwohl ihn die Alpträume inzwischen weniger häufig plagten. Sein Mangel an Mitteln und die Schmerzen in seinem Bein machten ihn wütend. Er sah keinen Ausweg, um den überfüllten Straßen und Elendsvierteln Londons zu entrinnen. Manchmal dachte er an Drakesden, aber dann erinnerte er sich an die Knochenarbeit, die sein Vater verrichtet hatte, und wußte, daß er dazu noch nicht in der Lage war.
    Er hielt sich mit Aushilfsarbeiten über Wasser, die meist nicht länger als einen Tag, manchmal nur ein paar Stunden dauerten. Er schrieb Briefe und füllte Formulare für Männer aus, die noch ärmer waren als er, traute sich aber nicht, mehr als ein oder zwei Pennys dafür zu nehmen. Noch immer führte er Hatties Bücher und übernahm dank ihrer Vermittlung ähnliche Arbeiten für andere Gasthäuser. Hattie hätte ihm alles Geld geliehen, das er brauchte, aber sein Stolz ließ es nicht zu, etwas anzunehmen, was er als Almosen betrachtete. Zuweilen kam ihm der Gedanke, daß er noch gar nicht wirklich fähig war, eine Vollzeitarbeit anzunehmen, selbst wenn er eine gefunden hätte.
    Manchmal wurde ihm bewußt, wie einsam er war. Er hatte seinen gesunden Optimismus verloren, war verwirrt und richtungslos. Bis er Fay traf.
    Nach einem seiner vielen Vorstellungsgespräche ging Daniel um die Mittagszeit durch den Hyde Park zurück. Er trug Uniform, weil dies bei Arbeitgebern zuweilen Eindruck machte. Diesmal allerdings nicht.
    An einem Stand kaufte er sich etwas zu essen und setzte sich am Ufer der Serpentine nieder. Sein Bein schmerzte, und außerdem hatte er sonst nichts vor. Das Wasser war gläsern und glatt. Angestellte und Stenotypistinnen, die über die Mittagszeit ihre Büros verlassen durften, streckten sich im Gras aus. Daniel aß einen Teil seines belegten Brotes und warf den Rest den Enten zu. Nicht weit entfernt von ihm saßen zwei Mädchen. Eines war kräftig und hatte Grübchen, das andere dunkelhaarig, blaß, mit roten Lippen. Es war heiß, so daß Daniel seine Jacke aufknöpfte und sich ins Gras zurücklegte. Mit halb geschlossenen Augen beobachtete er das dunkelhaarige Mädchen, das zum Rand des Wassers ging.
    Sie besaß die Art von Figur, die er immer bewundert hatte. Schlank und straff, mit hübschen runden Brüsten, schöne Fesseln und Waden (Daniel hatte nichts dagegen, daß die Röcke kürzer wurden) und kleine, schlanke Hände. Sie trug eine weiße Bluse und einen dunklen Rock und schien für Daniels ungeübtes Auge äußerst modisch gekleidet zu sein. Ein scharlachfarbenes Band hielt ihr langes, lockiges, dunkelbraunes Haar zurück.
    Sie beugte sich über den Wasserrand und fütterte die Enten. Als sie sich umdrehte, um mit ihrer

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