Die geheimen Jahre
Antonias Erlaubnis für die Auslandsreise zu bekommen, wenn sie allein fahren würde. Und abgesehen von Alices lästiger Neigung, sich als Dame von Welt aufzuspielen, fühlte sie sich sehr wohl mit ihr.
Thomasine löste das Marzipan von ihrem Kuchenstück. Einen Moment lang stellte sie sich vor, in Paris zu sein. Blauer Himmel und StraÃencafés, und überall um sie herum Menschen, die eine andere Sprache sprachen. »Stell dir doch vor, Alice. Paris! «
»Und keinen kleinen verwöhnten Bälgern mehr Pirouetten beibringen müssen«, erwiderte Alice trocken. Auch Alice half nämlich bei den Kleinen Schneeglöckchen aus.
»Einen Penny für Ihre Gedanken, Captain Gillory.«
Daniel blickte auf und sah, daà sie gekommen war. Besser gesagt, sie waren gekommen â Fay und Phyllis, gleich gekleidet, beide trugen weiÃe Blusen und dunkelblaue Röcke. Fays kleine Hand ergriff seinen Arm.
»Also dann, Captain Gillory, lassen Sie uns ein Boot nehmen.«
Sie spazierten zu der Stelle, wo die Ruderboote vertäut lagen: Fay in der Mitte, Daniel auf der einen und Phyllis auf der anderen Seite. Im Park waren jetzt nicht so viele Menschen wie während der Mittagszeit, und mit der kühlen Brise wehten von fern die Töne einer Blaskapelle herüber.
Ein Teil von Daniels Nervosität verging durch die körperliche Anstrengung des Ruderns. Die beiden Mädchen saÃen ihm gegenüber, die dicke Phyllis und die dunkeläugige Fay. Fays Haar war heute in Schnecken um die Ohren gelegt, und ihr Gesicht wurde von einem breitrandigen Hut beschattet, den rote und blaue Stoffblumen schmückten. Daniel fand, daà sie neben ihrer Freundin exotisch, ja beinahe zigeunerhaft wirkte.
Daniel ruderte und schaute. Phyllis starrte offensichtlich gelangweilt auf die Menschen und die Landschaft. Fay amüsierte sich über die Leute in den anderen Booten.
»Da drüben in dem Boot ist ganz ein süÃer kleiner Hund. Ein Pudel, nicht wahr, Phyl? Er guckt so komisch.« Sie wandte sich an Daniel. »Was für ein Tag, Captain Gillory. Wie ich mich auf meinen Feierabend gefreut habe. Im Moment scheint jede Frau in der Stadt einen neuen Rock, ein Nachmittagskleid oder sonst was zu wollen. Man könnte doch meinen, daà sie inzwischen ihre Sommergarderobe beisammenhätten, findest du nicht auch, Phyl?«
Pyllis brummte. Daniel ruderte sie um eine FluÃwindung und fragte: »Haben Sie immer in Kensington gearbeitet, Miss Belman?«
»Phyl und ich arbeiten seit ein oder zwei Jahren bei Chantals Damenmoden, nicht wahr, Phyl? Ein hübsches Geschäft â mit sehr hübschen Dingen. Ich hab mir mit einem Rest von Madame Chantals Abendkleidstoffen meinen Hut aufgeputzt.«
»Er sieht toll aus«, sagte Daniel. »Sie sehen wundervoll aus, Miss Belman. Sie natürlich auch, Miss Grogan.«
Doch sein Blick war auf Fay geheftet. Der breite Rand ihres Huts beschattete ihr Gesicht, so daà ihre Augen dunkler und gröÃer und die Höhlungen unter ihren Wangenknochen tiefer erschienen. Es war, als hätte eine kühle, klare Brise in sein Leben geblasen, die alle eisigen Winde des Krieges vertrieb und ihn für eine Weile seine Bitterkeit und Verzweiflung vergessen lieÃ.
Mit Hilfe des einen Ruders steuerte er an einem Boot voller betrunkener Jugendlicher vorbei, das quer zu ihnen im Wasser trieb. Die Jungen riefen Fay und Phyllis etwas zu, wurden aber ignoriert. Das Boot schwankte ein wenig, als sie in das Fahrwasser der anderen gerieten, aber Daniel hielt es gerade. Mit Booten kannte er sich schlieÃlich aus. Die überfüllte Serpentine erinnerte ihn flüchtig an die stillen Wasserwege der Fens, die er manchmal stundenlang befahren hatte. Dann kreischte eine Gesellschaft von Büromädchen auf, als das Heck von Daniels Boot fast das ihre streifte, und die Erinnerung war verflogen.
Nachdem er das Boot an den Verleiher zurückgegeben hatte, spendierte Daniel den beiden Mädchen ein Eis. Für sich selbst kaufte er nichts, weil er nicht genügend Geld und auÃerdem auch keinen Hunger hatte. Sie setzten sich an einen der Tische unter freiem Himmel, und Daniel beobachtete, wie Fay die Eiscreme aus der Schale löffelte und mit ihrer kleinen spitzen Zunge den Löffel ableckte.
»Oh â herrlich«, sagte sie. »Jetzt muà ich aber wirklich los. Es ist schon nach acht. Meine Zimmerwirtin wird sich fragen, was
Weitere Kostenlose Bücher