Die geheimen Memoiren der Jane Austen - Roman
mit einem violetten Band aus der Stirn gebunden.
»Kommen Sie herein«, murmelte sie mit einem unbestimmbaren Akzent, aber in einem so süßen und musikalischen Ton wie das Fließen eines Bachs. Sie deutete mit ihrer juwelengeschmückten Hand auf zwei Stühle,die ihr gegenüber standen. »Bitte setzen Sie sich. Haben Sie die Münze?«
Mr. Ashford gab ihr das Honorar, erklärte, dass ich ihr Subjekt sein sollte, und wir setzen uns hin.
»Geben Sie mir Ihre Hand«, sagte die Zigeunerin und streckte mir ihre eigene über den Tisch hinweg entgegen. Ich zog meine Handschuhe aus und folgte ihrer Aufforderung, unterdrückte meine Belustigung, als sie ihren Kopf über meine Handfläche neigte und sie genau musterte.
»Es wird eine wahre Liebe in Ihrem Leben geben«, erklärte die Zigeunerin.
»Nur eine?«, fragte ich leichthin mit einem Blick zu Mr. Ashford, der mein Lächeln erwiderte.
»Nur eine.« Sie schwieg, fuhr mit ihren langen, dunklen Fingern über die Linien auf meiner Handfläche und sagte dann: »Sie haben einen guten und scharfen Verstand. Sie denken und fühlen tief. Darf ich Ihre andere Hand sehen?«
Ich drehte auch meine andere Hand um und streckte sie ihr hin. Die Zigeunerin strich darüber.
»In diesen Fingern liegt eine große Energie. Ich spüre eine Hitze, einen Zauber darin.« Plötzlich runzelte sie die Stirn. »Ihre Gesundheitslinie, die gefällt mir gar nicht, überhaupt nicht. Sie ist zu kurz und außerordentlich ungerade. Aber – wie seltsam – Ihre Lebenslinie ist lang, sehr lang. Es ist die längste, die ich je gesehen habe.« Plötzlich huschte ein ehrfürchtiger Blick über ihre Züge. Sie schnappte nach Luft und packte meine Hand so fest, dass es mich schmerzte. Sie starrte mich in echter Verwunderung an. »Sie haben eine Begabung, meine Dame! Eine ganz besondere Begabung!«
»Wie bitte?«, erwiderte ich verdutzt, während ich vergebensversuchte, meine Hand aus ihrem Klammergriff zu befreien.
»Madam«, rief Mr. Ashford besorgt. »Ich glaube, Sie bereiten der Dame Schmerzen.«
»Sie sind nicht wie die anderen, lassen Sie es sich sagen«, rief sie mit glühenden Augen. »Sie werden ewig leben! Sie werden unsterblich!«
»Ich verstehe. Vielen Dank. Das ist sehr interessant.« Ich riss meine Hand zurück, völlig außer mir.
»Gehen Sie und lassen Sie Ihren Zauber wirken, meine Dame!« rief mir die Zigeunerin zu und starrte wild in meine Augen. »Gehen Sie! Teilen Sie Ihre Gabe mit der Welt!«
In den nächsten Tagen wurde die Prophezeiung der Zigeunerin wiederholt von allen Seiten betrachtet und besprochen. Mr. Ashford war besonders begeistert von der Vorstellung, dass es nur eine wahre Liebe in meinem Leben geben sollte. Cassandra war um mein Wohlbefinden besorgt, aber Henry versicherte ihr, dass er über derlei schon viel gelesen hätte und eine lange Lebenslinie immer Vorrang vor einer krummen Gesundheitslinie hätte. Eliza fand es absolut hinreißend, dass ich unsterblich sein würde und verglich mich mit den Göttinnen Diana und Aphrodite. Ich für meinen Teil schloss aus all dem nur, dass die Zigeunerin völlig verrückt war oder sich an jenem Nachmittag im Zelt einen Schluck Gin zu viel gegönnt hatte.
Mr. Ashford und ich kehrten später in dieser Woche noch einmal aufs Land zurück, wo wir ein Ruderboot mieteten und uns gemütlich die Themse hinuntertreibenließen, vorüber an strohgedeckten Häuschen, grünen Wiesen voller farbenfroher Blumen und hochaufragenden Ulmen.
Ich saß Mr. Ashford gegenüber, der wegen der Hitze seine Jacke ausgezogen und das Halstuch abgelegt hatte. Die Ärmel hatte er sich bis zum Ellbogen hochgerollt, und sein weißes Leinenhemd war am Kragen aufgeknöpft. Dieser Anblick hatte mir eine Röte auf die Wangen gezaubert, die mit der Hitze der Sommersonne nichts zu tun hatte.
»Ich habe ein Geständnis zu machen«, sagte Mr. Ashford, als er die triefenden Ruder aus dem Wasser nahm und das kleine Boot mit dem Strom treiben ließ.
»Ein Geständnis?«, fragte ich träge zurück. Auch ich hatte meinen Strohhut abgelegt und reckte das Gesicht in die köstliche Sonne, die am wolkenlosen blauen Himmel stand.
»Ich habe Sie heute hierher gebracht, weil ich für die bestmögliche Kulisse sorgen wollte, um Ihnen Neuigkeiten mitzuteilen.«
»Tatsächlich?« An seinem Ton konnte ich nicht ablesen, ob ich mit einer guten oder einer schlechten Nachricht rechnen sollte. »Was für Neuigkeiten?«
»Ich habe heute Morgen einen Brief von Isabella erhalten.
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