Die geheimen Memoiren der Jane Austen - Roman
seien erschöpft und würden jetzt gern ihre Zimmer aufsuchen wollen, um sich dort vor dem Abendessen ein wenig auszuruhen.
Sogleich entschuldigte sich Mr. Morton wortreich. »Ich allein muss mir die Schuld geben, dass Sie so ermattet sind. Ich hätte Ihnen niemals einen derart ausführlichen Rundgang zumuten dürfen, gleich nach Ihrer Ankunft, und die Damen noch dazu in so zartem Schuhwerk! Vorsicht, Miss Austen! Da liegt Ihnen ein recht großer Kieselstein im Weg.«
Mr. Morton beugte sich herab und entfernte den gefährlichen Stein mit großem Schwung, wobei er ihn einemEichhörnchen in den Rücken schoss. Das Tier blieb erstaunt einen Augenblick lang völlig reglos sitzen und flitzte dann, so schnell es konnte davon. Auf dem gesamten Rückweg zum Haus konnte Mr. Morton über nichts anderes reden als über seine Erleichterung, dass er nicht den vorzeitigen Tod dieses armen Lebewesens verursacht hatte.
»Ich bete zu Gott, dass ich beim Abendessen nicht neben ihm sitzen muss«, meinte Alethea, als wir uns später in dem Schlafzimmer, das wir uns teilten, ein wenig frisch machten. »Er ist der hassenswerteste, ödeste und lächerlichste Mann, denn ich je kennengelernt habe!«
»Ich finde ihn ziemlich amüsant«, erwiderte ich.
»Dann kannst du dich gern neben ihn setzen und mit ihm Konversation machen. Ich meinerseits habe die Absicht, kein Wort zu sagen und mich als die langweiligste und reizloseste junge Dame zu zeigen, die je gelebt hat.«
»Das wird dir unter Umständen nicht zum Vorteil gereichen«, neckte ich sie, während ich mein Gesicht mit Wasser aus der Waschschüssel benetzte. »Vielleicht zieht er ja Frauen vor, die eher still sind.«
»Oh, daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Aber ich darf nicht unhöflich sein, das würde Papa bestürzen.«
»Meine liebe Alethea, schau doch nicht so verzweifelt drein. Wir wissen keineswegs sicher, ob Mr. Morton dich als seine zukünftige Ehefrau in Betracht zieht. Und sollte er dir tatsächlich einen Heiratsantrag machen, dann kannst du einfach ablehnen.«
»Aber ich fürchte, dass meine Ablehnung den gutenPapa wesentlich mehr erzürnen würde als das Ausbleiben eines Antrags. Oh, was soll ich bloß tun?«
»Du musst nur du selbst sein und den Rest der Vorsehung überlassen.«
»Die Vorsehung bringt uns nur ein kleines Stück des Weges. Manchmal müssen wir ihr auch ein wenig nachhelfen.« Alethea schwieg kurz und sagte dann: »Ich habe mich entschlossen. Ich werde mir größte Mühe geben, so höflich und gleichzeitig so unangenehm wie möglich zu sein, indem ich zu allem, was er sagt, das genaue Gegenteil erwidere.«
»Du musst so handeln, wie du es für das Beste befindest.« Ich setzte mich vor den Spiegel, rückte mir die schwarze Samtkappe auf dem Haar zurecht und zupfte einige wenige Locken hervor, die mir ins Gesicht fielen. Das Resultat war recht angenehm. Ich war keine große Schönheit, das wusste ich, aber heute Abend hätten mich manche zumindest hübsch nennen können. »Ich für meinen Teil habe die Absicht, jede seiner Bewegungen und jeden seiner Gesichtsausdrücke genau zu studieren und mir größte Mühe zu geben, alle Worte seiner einzigartigen Redeweise meinem Gedächtnis einzuprägen.«
»Warum um alles in der Welt solltest du das tun wollen?«
»Weil ich seine absurde Art höchst ergötzlich finde. Mir ist in den Sinn gekommen, dass ich Mr. Morton als Vorbild für eine Figur in einem meiner Romane benutzen könnte.«
Alethea lachte. »Das sieht dir ähnlich, Jane. Wo wir anderen an einer Person oder Situation nur Peinlichkeit bemerken, siehst du Humor und unendliche Möglichkeiten.«
Sie setzte sich neben mich auf einen Stuhl, ergriff meineHände und blickte mich voller Aufrichtigkeit und Zuneigung an. »Meinst du das, so wie ich es verstehe, wie ich es zu verstehen hoffe? Hast du nach all den Jahren des Schweigens wieder zur Feder gegriffen?«
Das gab ich gern zu. »Bitte sage niemandem etwas davon. Ich bin mir sicher, dass es zu nichts führen wird. Aber ich habe gerade damit angefangen,
Vernunft und Gefühl
zu überarbeiten. Als ich nun aber Mr. Morton kennenlernte, kam mir
Erste Eindrücke
in den Sinn.«
»O ja! Ich erinnere mich, da gab es einen Geistlichen. Der war außerordentlich amüsant.«
»Aber er war nicht halb so töricht oder unerträglich wie Mr. Morton.«
»Nein, wirklich nicht!« Wir lachten lange und fröhlich. »Mr. Morton auf den Buchseiten wiederzubegegnen, wäre ein großer Spaß«, stimmte mir Alethea
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