Die geheimen Memoiren der Jane Austen - Roman
wir uns in London aufhielten, weil er immer so sehr viel zu tun hatte. Ich habe ihm gegenüber darauf bestanden, dass ich meine ganz eigene Kahnpartie machen möchte, so eine wie Sie in Southampton. ›Sie müssen mich einfach zu den Seen mitnehmen‹, habe ichihm gesagt. Ashford hat geantwortet: ›Wir könnten hinfahren, aber ohne Miss Austen wäre es nicht dasselbe.‹ Ich fragte ihn, warum um alles in der Welt nicht? Ich muss schon sagen, dass seine Antwort mich überrascht hat. Deswegen bin ich heute hier.«
»Wirklich?« Mein Herz pochte. Ich holte tief Luft und versuchte mich auf das vorzubereiten, was nun kommen würde. »Was hat er denn gesagt?«
»Er hat mir geantwortet, dass Sie …« Isabella lehnte sich vor und senkte ihre Stimme. »Ich hoffe, Sie halten mich nicht für impertinent?«
»Ich bin sicher, dass Sie das auf keinen Fall sein wollen«, erwiderte ich.
»Er sagte, Sie wären die …«, sie hielt erneut inne, und ihre Augen strahlten vor Begeisterung, »die wunderbarste Geschichtenerzählerin.«
Das hatte ich nun wirklich nicht erwartet. »Tatsächlich?«
»Charles und Maria stimmten ihm zu. Sie meinten, Sie hätten ihnen an jenem Tag eine außerordentlich unterhaltsame Geschichte erzählt, und es wäre ein Wunder, dass sie nicht veröffentlich ist. Nun, da habe ich mir gedacht, wenn sie so begabt ist, muss sie doch auch eine begeisterte Leserin sein und ein gutes Urteil über Literatur abgeben können, schreibt vielleicht gar ihre eigenen Geschichten nieder. Aber Ashford ging aus dem Zimmer, und von den anderen wusste es niemand. Also habe ich mir überlegt, dass ich am besten gleich zu Ihnen gehen würde, um mich danach zu erkundigen.«
»Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht folgen, Miss Isabella. Was genau ist es, worüber Sie Erkundigungen einziehen wollen?«
»Ganz einfach: Ich habe letztes Jahr einen ganzen Roman gelesen, von vorn bis hinten! Es hat lange gedauert, bis ich damit fertig war, aber ich habe mich gefreut, dass ich es gemacht habe. Es hat mich so inspiriert, dass ich kürzlich selbst mit dem Schreiben angefangen habe! Ich selbst! Ich habe mich so danach gesehnt, mit jemandem meine Gedanken auszutauschen und von jemandem in meinen Unternehmungen angeleitet zu werden.« Sie zog ein Notizbuch aus der Tasche und streckte es mir entgegen. »Hier ist mein erster Versuch: eine noch unvollendete Geschichte. Ich habe mich gefragt, ob Sie vielleicht so freundlich wären, sie zu lesen und mich mit Ihrer Meinung zu ehren?«
Ich starrte sie erstaunt an. Ich wurde jedoch der Notwendigkeit enthoben, ihr eine Antwort zu geben, weil genau in diesem Augenblick die Tür wieder aufgestoßen wurde. Das Hausmädchen trat ins Zimmer, trug ein Tablett mit Getränken und verkündete: »Entschuldigung, Miss Austen, es ist ein Herr gekommen, der Sie besuchen möchte.«
Es blieb mir keine Zeit, diese Bemerkung zu verarbeiten, als Mr. Ashford auch schon mit großen Schritten ins Zimmer kam.
Kapitel 19
»Miss Austen«, sagte Mr. Ashford und verneigte sich. Es lag eine gewisse Dringlichkeit in seiner Stimme.
Ich sprang erstaunt auf. Mr. Ashford hatte gerade den Mund aufgemacht, um etwas zu sagen, als sein Blick auf Miss Isabella fiel und er vor Schreck erstarrte. Ein kurzes, peinliches Schweigen trat ein. Das Hausmädchen verschwand. Wenn ich schon die Ereignisse des Vortags für unangenehm gehalten hatte, so waren sie doch rein gar nichts verglichen mit dem, was ich nun durchlebte. Ich war im gleichen Zimmer mit den beiden Menschen gefangen, die ich am allerwenigsten auf der ganzen Welt sehen wollte, ohne dass mir eine andere Person auch nur ein wenig Erleichterung verschafft hätte.
»Ashford!«, rief Isabella schließlich mit einem kleinen Lachen. »Nun, das ist aber eine Überraschung.«
Mr. Ashford verneigte sich steif. »Miss Churchill.«
»Hätte ich gewusst, dass Sie heute hierherkommen, Ashford, so hätten wir uns die Kutsche teilen können.«
»Das stimmt wohl«, sagte Mr. Ashford. Er warf mir einen leicht frustrierten und peinlich berührten Blick zu.
Ich war voller Angst, aber entschlossen, mir dies nicht anmerken zu lassen. Warum, dachte ich mir plötzlich, sollte
ich
mich in Gegenwart dieses Mannes unwohl fühlen? Ich hatte doch nichts Falsches getan! Er hatte sich mir gegenüber schlecht benommen! Sollte er seine Scham und Verlegenheit spüren. »Setzen Sie sich doch, Mr. Ashford«, forderte ich ihn mit einem Lächeln auf.
»Vielen Dank.« Er hockte sich auf eine Stuhlkante.
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