Die Geheimnisse der Therapeuten
Weise fürchtet den Tod nicht.« Leicht gesagt, aber schwer getan. Man müsste das Rezept dafür kennen. Hier gilt die Weisheit von Montaigne: »Wer sich vor dem Leiden fürchtet, leidet schon an dem, was er fürchtet.« Natürlich schieben wir den Gedanken beiseite, wir denken nicht mehr daran und leben jeden Tag; wir tun so, als lebten wir ewig, während wir genau wissen, dass es nicht stimmt.
Vielfältige Ãngste
Worin bestehen unsere Ãngste? Zunächst einmal darin, dass wir alles verlieren, was das Leben uns schenkt, alles, was wir um uns herum sehen, unsere Familie und die Gesellschaft, die selbstverständlich ohne uns weiterbestehen wird. Es ist ein frustrierendes Gefühl, nicht mehr bei diesem Theaterstück dabei zu sein, bei dem wir sowohl Schauspieler als auch Zuschauer sind. Natürlich kann uns auch Unglück widerfahren: der Verlust von geliebten Menschen, materielle oder soziale Not. Unsere Reaktion auf ein Unglück hängt auch da sehr stark von unseren psychologischen Möglichkeiten ab, diese Nöte gut zu analysieren, sie kennen und akzeptieren zu können.
Wir sollten nicht wie Montaigne denken: »Der Tod ist das Rezept gegen all unsere Ãbel.« Manchmal können diese Ãbel psychisch oder auch physisch sein, wie etwa die Schmerzen bei bestimmten Krankheiten besonders gegen Ende des Lebens. Sie können unerträglich sein, und alle Ãrzte sind sich inzwischen einig, dass es besser ist, sie möglichst ganz zu unterdrücken, selbst auf die Gefahr hin, dass der Patient das Bewusstsein verliert und eher stirbt. Das Leiden kann auch psychischer Natur sein: Eine Depression beschert intensives Leiden, und es ist oft so stark, dass die Betroffenen es nicht mehr ertragen, in ihrem Leben mit diesem extremen gefühlsmäÃigen Schmerz konfrontiert zu sein, und sich für den Selbstmord entscheiden.
Selbstachtung gegen Todesangst
Die beste Strategie, die ich gewählt habe, um keine Angst vor dem Tod zu haben, ist die Stärkung der Selbstachtung. Dafür war ich wie bei einer Art Desensibilisierung als Arzt oft genug mit dem Bild des Todes konfrontiert, was es mir ermöglichte, ihn schlieÃlich zu akzeptieren. Dickens schildert in seiner Weihnachtsgeschichte , wie der alte Wucherer Scrooge im Traum sein eigenes Grab auf dem Friedhof sieht. Er kommt zur Besinnung, begreift, dass er dabei ist, sein Leben zu verpfuschen, ändert sein Verhalten, interessiert sich für andere, wird altruistisch und groÃzügig. Und jetzt lebt er gern!
Es ist notwendig, Abstand zu nehmen, um zu erkennen, was man für richtig und nützlich hält.
Wenn man nach einem schweren Unfall begreift, dass man nur knapp dem Tod entronnen ist â wie es mir vor Kurzem passiert ist â, beginnt man, die Wichtigkeit zu hinterfragen, die man bestimmten Ereignissen zuschreibt. Unser aller Tage sind gezählt, man muss sich daher immer auf das Wesentliche konzentrieren, die Gegenwart voll und ganz leben und sie sich nicht dadurch verderben, dass man allzu sehr auf die »Dornen des Lebens« reagiert. Man muss daran denken, dass das Wichtigste im Leben ist, Dingen, die letztlich unwesentlich sind â oder die es jedenfalls einige Monate oder Jahre später sein werden â, keine Bedeutung zu geben. Leicht gesagt, schwer getan, besonders am Anfang. Es ist notwendig, Abstand zu nehmen, um zu erkennen, was man für richtig und nützlich hält. Das ist es, was die gröÃte innere Befriedigung bringen wird. Diese Haltung sollten wir in allen Augenblicken unseres Lebens einnehmen.
Tolstoi beschreibt in der Erzählung Der Tod des Iwan Iljitsch die letzten Tage eines Krebskranken, der unter sehr starken Schmerzen leidet. Das war vor über einem Jahrhundert, zu einer Zeit, als es nur begrenzte Möglichkeiten gab, physische Schmerzen zu lindern. Iwan Iljitsch litt vor allem unter einem sittlichen Schmerz, einer tiefen Verwirrung: Er hatte zwar ein ehrliches und gerechtes Leben geführt, aber ihm war bewusst, dass sein seelisches Leben arm gewesen war, und er bedauerte, dass er den Sinn der Existenz nicht verstanden hatte.
Jeder wird in seinem Handeln letztlich durch seine Persönlichkeit und seine Vergangenheit bestimmt, das heiÃt durch eine Mischung von Angeborenem und Erworbenem, durch all die Ereignisse unseres Lebens von Kindheit an, die uns nach und nach geformt haben. Auf diesem Gebiet haben die Ãrzte trotz ihrer
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