Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)
sind ohnehin schon stark überlastet. Kellen wird jeden Moment bei ihr anklopfen. Sie kann es sich nicht leisten, ihre Soldaten noch weiter zu verteilen.«
»Also glaubst du an die Prophezeiung?«
»Von ganzem Herzen.«
Avi wandte sich ab. Der Nebel lichtete sich, so dass man Ausblick über den Fluss hatte. Etwas an der Aussicht kam Avi bekannt vor.
»Meine Mutter hat mich davor gewarnt, Kobolden zu vertrauen«, sagte er.
»Das kann ich mir denken.«
Avi machte einige Schritte in das stehende Wasser hinein. »Ist das das Observatorium von Greenwich?«, erkundigte er sich und wies auf eine Reihe von Gebäuden am anderen Ufer.
»Erkennst du es?«
Er betrachtete das Gewirr aus Dreiecken, die das Dach des Observatoriums bildeten, und den glatten Halbkreis der Kuppel mit dem Teleskop. Geometrische Formen schwebten im Dunst.
»Es sieht genauso aus wie in der Welt der Sterblichen«, stellte er fest.
»Es ist gefährlich dort drüben«, meinte Xander. »Sumpfig wie hier, nur schlimmer.«
»Die Sterblichen haben den Boden auf ihrer Seite trockengelegt und unter dem Fluss eine große Kuppel und einen Gang gebaut.«
»Die Sterblichen, ständig bauen und bauen sie. Avi, was würdest du sagen, wenn ich dir jemanden vorstellen würde, der dich davon überzeugen kann, dass ich nicht lüge?«
»Und woher soll ich wissen, dass das nicht wieder eine Lüge ist?«
»Sie heißt Iphigenia.«
Iphigenia!
»Diesen Namen höre ich seit meiner Ankunft ständig«, erwiderte Avi. »Wer ist sie?«
»Jemand, den du treffen solltest.«
Wieder zog Nebel auf und hüllte das Observatorium ein.
»Warum sollte ich sie treffen?«
»Weil sie dir einmal sehr viel bedeutet hat. Oh, und es gibt auch noch einen anderen Grund.«
»Und der wäre?«
Xander ließ die Trophäen zu Boden sinken und legte Avi die Hände auf die Schultern. Ein schiefes Lächeln spielte um seine Lippen.
»Weil deine Mutter gewiss strikt dagegen wäre.«
Kapitel 30
A m nächsten Abend brachte Xander Avi zu einer abgelegenen Stelle am Flussufer unweit von Charing Cross. Unterwegs erklärte ihm der alte Kobold den Weg hinüber nach Greenwich und wohin er sich am anderen Ufer wenden sollte. Und er versicherte ihm, dass dieser Ausflug nahezu keine Gefahren barg. Doch trotz dieser Beteuerungen fühlte sich Avi beklommen.
»Ich weiß nicht so recht, ob wir ein Boot nehmen sollten«, meinte er, während er Xander durch das dichte Schilf folgte. »Kellens Patrouillen sind überall.«
»Keine Sorge«, entgegnete Xander. »Dieses Boot ist gut getarnt.«
»Wie?«
»Es ist grellbunt gestrichen.«
Avi wartete auf die Pointe des Witzes, aber als der Kobold sich umdrehte, war seine Miene ernst.
»Bedeutet das Wort Tarnung für Kobolde vielleicht etwas anderes?«, fragte Avi nach.
»Ganz und gar nicht. Kellens Mannschaften haben zwar gute Augen, sie sind jedoch auf das weniger gesättigte Ende des Spektrums eingestellt.«
»Wie bitte?«
»Grimalkins haben Schwierigkeiten damit, bunte Farben wahrzunehmen. Wenn man einen Gegenstand also in den Primärfarben, vorzugsweise auch noch mit einem komplizierten Muster, streicht, reagieren ihre Augen darauf, als wäre er nicht vorhanden.«
Mit einer großartigen Geste teilte Xander das Schilf, und sie hatten das Boot vor sich. Trotz seiner Angst musste Avi ein Lachen unterdrücken.
Das Boot war vom Bug bis zum Heck mit scharlachroten Kringeln, leuchtend blauen Zacken und schrillgelben Punkten verziert, als hätte jemand Eimer mit den buntesten Farben, die er finden konnte, wahllos dagegengeschleudert.
»Es trägt den Namen Kaleidoskop «, erklärte Xander. »Du kannst dir sicher denken, warum. Und nun, fürchte ich, muss ich gehen.«
»Du kommst nicht mit?«
»Heute Abend findet eine wichtige Sitzung des Bundes statt. Mein Fehlen würde Verdacht erregen. Hast du die Wegbeschreibung noch im Kopf?«
Avi nickte. »Ich hoffe nur, dass du, was das Boot betrifft, recht behältst.«
Sobald Xander fort war, stemmte Avi die Schulter gegen den Rumpf der Kaleidoskop und fing an, sie zum Ufer zu schieben, was sich als schwieriger entpuppte als erwartet. Das Schilf verklemmte sich mit dem Rumpf, und nachdem Avi das Dickicht endlich hinter sich gelassen hatte, bremste der grobe schwarze Kies am Strand den Kiel. Etwa eine Bootslänge vom Wasser entfernt blieb das Boot endgültig stecken. Avi lehnte sich an ein hölzernes Geländer, wischte sich den Schweiß von der Stirn und starrte zum Himmel hinauf.
Blitze zuckten am Horizont, und
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