Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)
gingen sie in die Knie. Avi konnte Roosevelts Füße unterhalb des Ganggetriebes erkennen. Sie trommelten eine Art Stepprhythmus auf dem harten Boden. Als sich in dem Wirbelwind aus Kugeln eine Lücke auftat, stellte Avi fest, dass er nicht tanzte, sondern mit einem der fuchsgesichtigen Kundschafter kämpfte, der die Arme fest um seinen Hals geschlungen hatte.
»Roosevelt!«, schrie Avi und fuhr zurück, als eine gewaltige Kugel nur wenige Zentimeter vor seiner Nase vorbeidonnerte.
Der ganze Raum erbebte. Im nächsten Moment ertönte ein ohrenbetäubendes schrilles Knirschen wie von einem vom Sturm gefällten Baum. Ein ganzer Arm des Planetariums war abgebrochen. Funkensprühend prallte er gegen die Wand und rollte dann in den Flur hinaus. Dennoch hatte Avi den Eindruck, dass eine wichtige Schwelle überschritten worden war. Die Sonne pulsierte ein und dann ein zweites Mal. In ihrer Mitte tat sich ein Regenbogen auf. Jenseits des Regenbogens sah Avi wie durch ein mit Farbe beschmiertes Fenster eine große Wiese, die an einer funkelnden Wasserfläche endete.
Das Feenreich!
Ein Paar pelziger Beine landete unmittelbar vor ihm und versperrte ihm die Sicht auf die Brücke zwischen den Reichen. Starke Hände schleuderten ihn heftig gegen eine heransausende Kugel, so dass ihm die Luft wegblieb.
»Hannah!«, rief er. Zu seinem Entsetzen kauerte sie sich gerade schützend vor dem dritten Kundschafter zusammen, der wie ein Phantom vor ihr aufgetaucht war.
Bevor Avi ihr zu Hilfe eilen konnte, wurde er wieder gepackt, diesmal von hinten.
Von plötzlicher Wut ergriffen, fuhr er mit den Händen in das bräunliche Fell und zerrte aus Leibeskräften daran. Das Fell löste sich mit einem scheußlichen Ratsch, worauf der Kundschafter einen Schrei ausstieß.
»Finger weg von mir!«, brüllte Avi und rammte dem Geschöpf den Ellbogen in den Bauch. Es grunzte zwar, aber es gelang Avi einfach nicht, sich zu befreien.
Der Kundschafter, der Hannah in seiner Gewalt hatte, versuchte, sie zur Brücke zu zerren. Hilflos ruderte sie mit Armen und Beinen. Das Licht des Regenbogens fiel auf die Körper der Kämpfenden, so dass sie wie magere Gespenster wirkten.
Avi drehte sich um und schlug seinem Gegner auf die Nase. Blut spritzte, und der Kundschafter ließ endlich los. Wieder frei, machte sich Avi an den gefährlichen Slalom in die Mitte des auseinanderfallenden Planetariums.
Kaum hatte er sich an der innersten Kugel des riesigen Geräts vorbeigeduckt, als plötzlich Kugeln von oben auf ihn herunterfielen.
»Avi, aus dem Weg!«, schrie eine dünne Stimme.
Es war Brucie, die breitbeinig auf dem Ganggetriebe stand. Ihre winzige Gestalt war im Lichtstrahl der Brücke kaum zu erkennen. Zu ihren Füßen lag ein Haufen von Kugeln, die sie aus dem Planetarium entfernt hatte. Nun hob sie sie in die Luft und schleuderte sie wie Kanonenkugeln auf eine gewaltige Gestalt, die auf dem Boden lag. Roosevelt hatte die Besinnung verloren und war dem Kundschafter, der ihn hatte erwürgen wollen, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Endlich gelang es Brucie, richtig zu zielen, und die Kugeln prallten vom Kopf des Kundschafters ab, bis er fauchend den Rückzug antrat.
»Schnell, Avi«, sagte Brucie. »Sonst nehmen sie sie mit!«
Jetzt trennte nichts mehr Avi von der Brücke. Nichts als Hannah und der Kundschafter, der ihre Handgelenke fest umklammerte. Schreiend und mit weit aufgerissenen Augen starrte sie Avi an.
»Hannah!«, rief er.
Doch der Kundschafter zog Hannah schon durch die Brücke. Der Regenbogen griff nach ihnen und schickte Lichtfäden aus, die Hannahs Körper umschlangen und sie von einer Welt in die andere zogen. Bevor das Licht sie völlig verschluckt hatte, sah Avi nur noch eine weiße Hand, die flatterte wie ein Schmetterling.
Ehe er Zeit hatte, sich zu bewegen oder auch nur nachzudenken, brach der nächste Arm des Planetariums ab. Doch anstatt wie sein Vorgänger durch den Raum zu segeln, bohrte er sich in das Ganggetriebe, geradewegs in das Herz des Geräts.
Das Getriebe explodierte, so dass Brucie in die Luft geschleudert wurde und sich zerbrochene Kolben und Sperrklinken im Raum verteilten. Avi machte einen Satz auf die Brücke zu, aber es war zu spät. Während das Planetarium in tausend Stücke zerbarst, erlosch die Sonne. Ein Stück des Regenbogens schwebte kurz in der Luft wie ein Stück bunter Seide, das im Wind weht, und löste sich schließlich auf.
Die Brücke zwischen den beiden Welten war zerstört.
Aus dem
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