Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)
rief sie.
Roosevelt lenkte auf das Parktor zu. Avi sah, dass es geschlossen war.
»Festhalten«, sagte Roosevelt.
Diesen Ratschlag hätte er sich sparen können.
Das Vorderrad krachte gegen das Tor, so dass das Vorhängeschloss aufsprang und sie auf die Straße hinausschlitterten. Fünfzig Meter hinter ihnen wendeten die Streifenwagen, um ihnen den Weg abzuschneiden.
»Nichts wie raus aus dem Park«, sprach Roosevelt weiter. »Die Streifenwagen mögen auf der Straße schneller sein, wir aber auch.«
Am Ausgang zum Park befand sich eine Temposchwelle. Als sie darüber hinwegrasten, machte das Motorrad einen Satz in die Luft, und der Motor heulte auf. Als die Räder wieder auf dem Asphalt aufkamen, fuhr der Stoß Avi bis in den Rücken. Roosevelt bremste leicht, bog rechts ab und rollte dann einen Hügel hinunter auf eine schmale Wohnstraße zu.
»Brucie!«, schrie er. »Ist die Kavallerie noch hinter uns her?«
Die Elfe erschien auf Avis Schulter und hielt sich an seinem Ohr fest. »Autsch!«, beschwerte er sich.
»Keine Spur von ihnen«, meldete sie.
Roosevelt betätigte die Gangschaltung, und das Motorrad legte sich in die nächste Kurve.
Sie passierten Reihenhäuser und geparkte Autos. Kein Mensch war unterwegs. Doch plötzlich verbreiterte sich die Straße und ging in eine Einkaufsmeile über, so dass sie anderen Fahrzeugen ausweichen mussten. Avi klammerte sich fest, während Roosevelt ein Pizza-Lieferfahrzeug überholte. Auf dem Gehweg blieben junge Frauen in Stiletto-Pumps erstaunt stehen, als sie vorbeibrausten.
Plötzlich tauchte vor ihnen ein Nachtbus auf, der sich wie ein Elefant auf einen menschenleeren Marktplatz mit verlassenen Verkaufsständen zuwälzte. Roosevelt überholte den Bus, schwenkte dann vor ihm ein und fuhr auf den Marktplatz. Kurz konnte Avi einen Blick auf den Busfahrer erhaschen, der ihnen, rot im Gesicht, durchs Fenster den Stinkefinger zeigte.
Roosevelt rollte auf einen der Verkaufsstände zu, wo er zu Avis Erstaunen stoppte. Er klappte den Ständer aus und stieg ab. Brucie flatterte aufgeregt um seinen Kopf herum.
»Was tust du da?«, fragte Avi. »So erwischen die uns doch.«
»Ich weiß, mein lieber Junge«, entgegnete Roosevelt. »Glaubst du, du kannst dieses Gefährt steuern?«
Verdattert betrachtete Avi die Bedienungshebel. »Ich weiß nicht. Ich denke schon.«
»Dann probier es aus. Fahr langsam zwischen den Buden hindurch.«
»Langsam? Und was machst du in der Zwischenzeit?«
»Keine Sorge, Avi«, erwiderte Brucie. »Ich glaube, der Wächter hat einen Plan.«
In diesem Moment trafen die Streifenwagen mit heulenden Sirenen ein. Sie überholten den Bus und teilten sich anschließend auf. Der eine fuhr weiter die Straße entlang, der andere steuerte direkt auf Avi und Roosevelt zu.
Roosevelt versetzte dem Sitz einen Klaps. »Fahr los, Junge!«
Ohne nachzudenken, trat Avi aufs Pedal und drehte am Lenker, wie er es bei Roosevelt beobachtet hatte. Das Motorrad ruckelte vorwärts und schwankte so stark, dass er schon befürchtete umzukippen. Schlingernd versuchte er, nicht auf den Streifenwagen zu achten, der sich stetig näherte, und beschleunigte.
Das Motorrad schien seinen eigenen Willen zu haben. Obwohl es sich schwer anfühlte, reagierte es auf die leiseste Bewegung von Avis Armen oder Körper. Er streifte eine Bude, wich einer anderen nur knapp aus und hielt auf eine Lücke zwischen zwei hohen Kistenstapeln zu.
Obwohl er immer noch einen Sturz befürchtete, riskierte er einen Blick nach hinten.
Roosevelt stand unter der ersten Bude und zog an den Pfosten, die das Dach aus Segeltuch stützten. Das schwächliche Bauwerk geriet ins Schwanken. Obwohl der Streifenwagen mit heulenden Sirenen immer näher kam, achtete Roosevelt nicht auf ihn. Endlich hatte er die Pfosten gelöst, und die Bude kippte gegen ihren Nachbarn, der seinerseits umstürzte – und zwar genau vor den Streifenwagen.
»Aufpassen!«, rief Brucie.
Avi bemerkte einen unbenutzten Anhänger, der ihm den Weg versperrte, und bremste ab. Das Vorderrad stieß sanft dagegen.
Der Streifenwagen raste mitten in den Trümmerhaufen. Im ersten Moment konnte Avi nur das blinkende Blaulicht unter zerrissenem Segeltuch erkennen, dann legte der Wagen den Rückwärtsgang ein. Roosevelt stand davor und schwenkte ein Stück Segeltuch wie ein Stierkämpfer.
Avi fuhr weiter, denn er wollte den Vorteil, den Roosevelt ihm verschafft hatte, unbedingt nutzen. Inzwischen selbstbewusster, gab er Gas und lenkte das
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