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Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Titel: Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Tenner
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hatte sie auch überhaupt keine Bedeutung.
    Tommy meinte nach all den cineastischen Genüssen und Reflexionen über die Spielfilme: „Soll ich dir was sagen? Lassen wir doch alles auf sich beruhen. Lassen wir Zeit und Ewigkeit sein, was sie sind. Vielleicht offenbart sich der Sinn von ganz alleine. Vielleicht musst du erst den Ausgangspunkt wieder erreicht haben. Vielleicht sollten wir weniger denken, sondern einfach nur leben. Versuch doch soweit wie möglich, die Sanduhr und die Vergangenheit zu verdrängen. Carpe diem!“ Ich nickte. „Carpe diem, mein Freund. Ich weiß, wo ein neues Weinrestaurant eröffnet wurde.“
    „Sehr gut. Aber bevor wir das Thema für die nächsten Jahre zu den Akten legen, gib mir doch noch einen kleinen Hinweis auf das, was ich in Zukunft tun oder unterlassen sollte.“
    Ich zögerte. Das erste Mal im Leben konnte ich nachempfinden, wie ein Arzt sich fühlen muss, der einem Patienten eine schlechte, eine sehr schlechte Nachricht übermitteln muss. Ich war immer der Meinung, absolute Offenheit wäre das oberste Gebot, der Patient hätte ein Recht auf die Wahrheit. Aber was nützt die Wahrheit, wenn sie ihm seelisch schadet und sein Leben oder den Krankheitsverlauf negativ beeinflusst. Nicht jeder kann mit der Wahrheit umgehen. Als ich Tommy 1985 meine Geschichte erzählte und er nach seiner Zukunft fragte, hatte ich mit gutem Gewissen geantwortet, ich dachte an ihn, seine Frau und seine Söhne. An einen Verlust hatte ich damals nicht gedacht, dieser stand aber in wenigen Monaten bevor und ich erinnerte mich wieder nur zu gut daran. Mein Gerede über die Mitteilung der Wahrheit und das Beeinflussen des Lebens, zumindest des Lebensgefühls von anderen Menschen, bekam jetzt eine sehr praktische Seite. Ich musste mich entscheiden. „Hör zu, du bist Philosoph und wenn ich dir nicht die ungeschminkte Wahrheit sagen kann, dann brauchen wir uns über Fragen der Wahrheit, der Wahrheitsfindung und der Wahrheitskriterien gar nicht mehr zu unterhalten.“ Ich sah, dass sein Gesicht eine Spur blasser wurde. „Hast du mir zuliebe bei unserem ersten Gespräch gelogen, als du mir bis 2008 ein unbeschwertes Leben prophezeit hast? Wolltest du mir mein Leben nicht verderben und jetzt kurz vor dem Ende, willst du mir Gelegenheit geben, alles zu regeln?“
    „Nein. So schlimm wird es nicht. Dir und deiner Familie im engeren Sinne wird es bis zum 24. Dezember 2008 blendend gehen. Es handelt sich um deinen Vater.“
    „Meinen Vater? Der ist erst achtundsechzig und kerngesund.“ „Ich weiß. Auch die nächsten vier Monate noch. Dann bekommt er einen Herzinfarkt. Mitten auf der Straße. Er wird nicht leiden müssen. Ich erzähle dir diese Wahrheit, weil ich weiß, dass ihr euch in den letzten Jahren wenig gesehen habt und wohl auch Meinungsverschiedenheiten hattet. Du hast mir nach der Beerdigung einiges darüber erzählt. Auch, dass du dich geärgert hast, nicht zu Lebzeiten alle Probleme und Meinungsverschiedenheiten angesprochen und ausgeräumt zu haben, weil du dachtest, es wäre noch so viel Zeit. Jetzt kannst du dein Handeln korrigieren. Hoffe ich wenigstens.“
    „Danke, dass du es mir gesagt hast. Die nächsten vier Monate werde ich schlecht schlafen und ich werde beten und wünschen, dass du dich diesmal irrst. Aber dennoch bin ich froh, weil ich jetzt eine Motivation habe, mein dummes Ego zu überwinden und den ersten Schritt zu tun. Es ist eigentlich traurig, dass man erst solche Hiobsbotschaften braucht, um zu begreifen, dass Differenzen und gegensätzliche Sichtweisen nicht dazu führen dürfen, dass man in der Familie oder auch unter Freunden gleich auseinander rennt oder jedes Gespräch vermeidet, nur weil man anderer Auffassung ist.“ Seine Gebete konnten den Tod seines Vaters nicht verhindern. Aber er konnte diesmal an der Beisetzung im Gefühl teilnehmen, Frieden geschlossen zu haben, man hatte nicht alle Differenzen beseitigt, aber das Gemeinsame hatte überwogen und die letzten Wochen hatte es eine sehr starke emotionale Annäherung gegeben. Ich konnte diesmal wenigstens einen sichtbaren Erfolg verbuchen, die Wiederholung des Jahres hatte einen kleinen Sinn gehabt. Nach dem Tod von Tommys Vater gelang es mir, unseren Vorsatz weitgehend einzuhalten. Die Sanduhr existierte nur noch verborgen in irgendwelchen Gehirnwindungen.
    Obwohl bei bestimmten Nachrichten und Ereignissen, das Gehirn einfach nicht abzuschalten war und das Wissen sich nach oben arbeiten wollte. Bis zum Frühsommer

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