Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)
ich ein Kriterium finden könne, das mir ermöglicht, dieses paradoxe Verhalten der Zeit, wenn nicht zu erklären, so doch nachzuweisen. Du kennst doch sicher aus deiner Schulzeit Goethes Gedicht Der Zauberlehrling ? Ich musste diese Ballade in Schulzeiten auswendig lernen und bei einer großen Abschlussveranstaltung vortragen. Man gab mir als Richtzeit für meinen Auftritt drei Minuten. Ich nahm diese Vorgabe wörtlich und habe dieses Gedicht so gesprochen, dass ich genau drei Minuten, plus minus drei Sekunden brauchte. Und auch später habe ich bei verschiedenen Gelegenheiten dieses Gedicht zum Besten gegeben, immer exakt in drei Minuten. Als ich vor ein paar Tagen wieder dieses Gefühl hatte, dass die Zeit sich verlangsamt hätte, schaute ich auf die Uhr, es war genau 21.20 Uhr. Dann habe ich angefangen, mein Gedicht immer wieder und wieder im gleichen Rhythmus ohne Unterbrechung zu sprechen. Als ich es zwanzig Mal aufgesagt hatte, es hätten also sechzig Minuten vergangen sein müssen, meinetwegen auch einundsechzig oder neunundfünfzig Minuten, schaute ich wieder auf die Uhr. Sie zeigte 21.49 Uhr. Ich denke, es ist mehr als nur ein subjektives Gefühl, es muss Phasen geben, in denen die Zeit sich verzögert und dies nicht nur, weil die Zeit uns subjektiv langweilig vorkommt. Da ich schon mehrmals eine solche Verzögerung mit anderen teilte, glaube ich auch nicht, dass es ein persönliches Schicksal ist, im Unterschied zur Sanduhr. Hast du noch nie solche Zeitdilatation erlebt?“
Tommy überlegte kurz. „Jetzt, wo du es mir geschildert hast, erinnere ich mich, auch schon solche Phasen in meiner Arbeit erlebt zu haben, allerdings habe ich keinen Vergleich, keinen Maßstab gehabt, mich einfach nur gewundert, wie viel ich in welch kurzer Zeit geschafft habe. Aber ich denke, wir werden keine rationale Erklärung finden. Die Tatsache, dass die Zeit unterschiedlich verläuft, ist uns ja seit Langem bewusst, aber es sind doch kaum messbare Bruchteile von einer Sekunde, um die es sich handelt, solange wir in der Nähe des Planeten sind und nicht mit Lichtgeschwindigkeit fliegen. Und ich glaube auch nicht, dass von dieser Dilatation, wie du es nennst, der Planet und alle Menschen auf einmal betroffen sind. Dies wäre aber die Voraussetzung, um eine halbwegs plausible Erklärung zusammen zu basteln.“
„Dies sehe ich ähnlich. Ich habe mich in den letzten Monaten viel mit dieser String-Theorie einiger Physiker beschäftigt, abgesehen davon, dass diese Saiten, aus denen das Universum bestehen soll, nie sichtbar und praktisch überprüft werden können, lässt sich diese Theorie mathematisch schlüssig nur formulieren, wenn es neun oder zehn Dimensionen geben würde. Wir haben schon Mühe, uns die Vierte vorzustellen, können sie eigentlich nur in Metaphern umschreiben und ansonsten nur mathematisch formulieren. Jetzt stell dir noch irgendwo fünf, sechs oder mehr verborgene Zusatzdimensionen des Raumes vor. Der gesunde Menschenverstand steht gewissermaßen Kopf. Aber wenn es solche Zusatzdimensionen tatsächlich gäbe, wäre es doch denkbar, dass auch unsere Zeit in eine Mehr- oder Polydimensionalität verwoben ist, die abhängig von uns bisher nicht bekannten Randbedingungen lokale Zeitdilatationen ermöglichen oder zumindest zulassen würde.
„Hör auf, mir schwirrt der Kopf. Ich habe mich selbst in den letzten Monaten viel mit dem Urknall und der Entstehung der Zeit beschäftigt und habe langsam den Eindruck, wir gehen falsch an die Sache heran. Wir hatten uns vorgenommen, die naturwissenschaftlichen Aspekte als für die Lösung deines Geheimnisses sekundär zu betrachten. Jetzt spielen wir schon wieder die Naturwissenschaftlicher. Hat die Tatsache, dass man heute statt eines Atoms schon vierundzwanzig kleinste Teile gefunden hat, aus denen die Materie gebildet wird, die Physiker dem Ursprung unseres Seins tatsächlich auch nur ein Stück näher gebracht? Um die Existenz der Masse dieser Teile überhaupt erklären zu können, müssen sie ein fünfundzwanzigstes Teilchen postulieren, das sogenannte Higgs . Wenn sie dies irgendwann nachgewiesen haben, verbergen sich hinter den nächsten Türen Higgs zwei und drei. Und dann kommen die SECRETS. Ein Dozent der Sektion Physik hat mir erst vorige Woche bei einem Gespräch bestätigt, das es etwas, was man als Fließen der Zeit interpretieren könne, in der Physik gar nicht vorkommt. Vielleicht sollten wir anerkennen, dass es nicht um die Zeit als solche, sondern
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