Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)
ihrem alten Äffchen nachtrauern musste. Unsere Gastgeberin, Madleine aus dem
Springtree Country Club erhielt beim Abschied als Dank für die Gastfreundschaft und Hilfe den Elefanten mit dem goldenen Schriftzug Berlin überreicht, sie reihte ihn in ihre umfangreiche Sammlung ein und konnte nicht glauben, dass wir gerade ein solch passendes Geschenk im Koffer hatten. Monique sagte nichts mehr und fragte mich auch nicht, woher ich so genau den zukünftigen Bedarf an Präsenten gekannt hatte. Sie war anders als ich, sie hatte nicht das Bedürfnis, allem auf den Grund zu gehen und unendliche Nachforschungen anzustellen. Frauen besaßen viel gesunden Menschenverstand, aber sie kannten auch den Punkt, an dem man ihn lieber abschaltete.
So lebte es sich wirklich besser. Warum war ich nicht als Frau geboren? Aber ich ließ die kommenden Jahre auch die Sanduhr und ihr Geheimnis ruhen, lebte trotz der unterschwellig tickenden Fragen im Hinterkopf recht unbeschwert. Die Arbeit, die ich ja schon kannte, ging gut und schnell von der Hand, die Bücher und Artikel, die trotz aller Bemühungen keine Erfolge gezeitigt, außer Spesen nur meine Zeit gekostet hatten, ließ ich einfach weg. Ab 1994 lebte ich abwechselnd in Berlin und in Florida. Das Einzige, was mir auf– und missfiel, war die Tatsache, dass die Jahre bis zur Jahrtausendwende wie im Fluge vergingen. Die Wiederholung verstärkte diesen Eindruck noch. Natürlich war ich mir bewusst, dass die Art, wie wir die Zeit empfinden, auch von unserem Lebensrhythmus abhängt und unserer biologischen Uhr. Ich las einige interessante Bücher von sogenannten Chronowissenschaftlern, die belegen konnten, dass mit zunehmendem Lebensalter die Zeit schneller vergeht, weil die biologische Uhr langsamer läuft und die Welt und ihre Prozesse einem schneller erscheinen. Und da ältere Menschen zumeist weniger neue Eindrücke haben, wird diese langweilige Zeit im Nachhinein als schnell vergangen empfunden. Es ist nichts Neues passiert. Wenn diese ereignisarme Zeit gerade Gegenwart ist, scheint sie sogar fast stillzustehen. Ich war zwar älter geworden und der gleichmäßige Arbeitsrhythmus mochte auch einen langweiligen Aspekt besitzen. Anderseits hatte ich ständig neue Eindrücke und schien mich eher in Schopenhauers „Kindheitsphase“ seiner Lebensalter-Theorie zu befinden. Irgendwo hatte jede Theorie ihr Leck oder stieß an die Grenzen ihrer Erklärungspotentiale.
Ich debattierte mit Tommy bei einem unserer obligatorischen Zeitdiskussionen, die wir zwar nicht mehr monatlich, aber doch noch vierteljährlich durchführten, über dieses subjektive Empfinden von Zeit. „Weißt du, jeder kann einem zustimmen, wenn man über die unterschiedliche individuelle Wahrnehmung der Zeit spricht. Jemand, der in einer Prüfung saß und viele Fragen in einer festgelegten Zeitspanne zu beantworten hatte, wird wissen, wie furchtbar schnell die Zeit davon fliegen kann. Und wer schon einmal bei einem Stand von 1:0 für seine Mannschaft in einem wichtigen Spiel auf das Vergehen der letzten fünf Spielminuten gewartet hat, dem ist bewusst, dass aus fünf Minuten vom Empfinden her fünfzehn Minuten werden können. Das erscheint logisch und nachvollziehbar. Aber ich habe in den letzten Jahren noch ein anderes Phänomen bemerkt, dass mir fast so viele Rätsel aufgibt wie die Sanduhr, aber sicher nicht in Verbindung mit ihr zu bringen ist. Bereits in meinem ersten Leben stieß ich auf eine Art Zeitverzögerung, aber unsere Diskussionen und mein quasi Zeitschicksal haben mich dazu gebracht, objektivere Kriterien zu finden, die meine Vermutung über dieses Phänomen bestätigen können.“
„Was meinst du, auf welches Phänomen spielst du an?“
„Auf eine, wie ich sie nenne Zeit-Dilatation. Es ist mir mehrmals im Jahr, allerdings in unregelmäßigen Abständen und auch unter verschiedenen Bedingungen, passiert, dass die Zeit fast gar nicht weiterging. Ich unterhielt mich mit einem Bekannten, er erzählte unendlich viele Witze und Anekdoten, es hätte eine halbe Stunde vergangen sein müssen, ich schaute auf die Uhr, es waren nur fünf oder sechs Minuten vorbei.
Ein anderes Mal war ich gerade beim Schreiben, ich schaute auf die Uhr und schrieb ein halbes Kapitel, mindestens drei, vier Stunden brauche ich normalerweise, vergangen war gerade eine knappe Stunde. Natürlich gibt es Tage, da ist man besser in Form, schreibt schneller, aber nicht siebzehn Seiten in fünfundfünfzig Minuten. Ich habe überlegt, ob
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