Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Titel: Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Tenner
Vom Netzwerk:
eines Fußballspiels der DDR- oder der BRD-Fußballnationalmannschaft. Die beiden waren dankbar, in einem ihnen fremden Land zwischenmenschlichen Anschluss gefunden zu haben. Nchee konnte nach Beendigung des Studiums nicht in seine Heimat zurückkehren, es sollte noch bis 1994 dauern und viele Kämpfe und Tote kosten, bis die Apartheid endlich, zumindest in ihrer äußeren Form, in Südafrika überwunden wurde. Er wollte in den USA eine zeitweilige Heimat, ein Exil finden, in der DDR war ihm dies nicht möglich gewesen, seine vielen Anträge auf Verlängerung seines Aufenthaltes oder auf Erhalt eines Forschungsstudiums waren abgelehnt worden. In Chicago fand er auch in einer Transportfirma Arbeit und erhielt eine zeitweilige Aufenthaltsgenehmigung. Alle paar Monate erreichten mich Briefe, die Schrift wurde immer größer und war zum Schluss kaum noch lesbar, der Inhalt völlig verworren. Er schien mit Drogen in Kontakt gekommen zu sein und ihnen ausgeliefert. Im letzten Brief, der mich 1989 erreichte, konnte ich nur noch drei Worte mühsam entziffern „Einsamkeit“ und „Rassismus“ und „Heimweh. Der Briefwechsel brach ab und ich habe trotz einiger Nachforschungen, die ich in den 90er Jahren von Florida aus anstellte, nichts über sein Schicksal in Erfahrung bringen können. Heimweh hatte er wie viele seiner Kommilitonen aus Afrika schon während des Studiums in der DDR gehabt. Und die Bedingungen waren auch nicht geeignet, dieses Heimweh zu mildern.
    Es gab zwar viele Freundestreffen und auch offizielle Betreuer, die sich der Sorgen und Probleme der Studenten aus dem Ausland annehmen sollten, aber zu wirklichen, zu festen persönlichen Beziehungen kam es selten. Kontakte bei großen Freundschaftstreffen oder während der studentischen Veranstaltungen wurden begrüßt, enge und ständige freundschaftliche oder gar partnerschaftliche Beziehungen wurden hingegen von offizieller Seite mit viel Misstrauen beobachtet. Sascha, ein russischer Germanistik-Student, der eine Kommilitonin meiner Frau geschwängert hatte und sie noch vor Geburt des Kindes ohne Genehmigung seiner Botschaft heiratete, erhielt wenige Tage nach der Hochzeit seine Einberufung zur Roten Armee und musste sein Studium abbrechen. Man schickte ihn nach Afghanistan, wo er wenig später einem Bombenanschlag der Mudschaheddin zum Opfer fiel.
    Wir waren tief betroffen, Sascha war ein angenehmer Kommilitone gewesen, immer freundlich und hilfsbereit und er wäre Alex, der einige Monate später geboren wurde, sicher ein guter Vater geworden. Wie so oft stand die Politik dem Glück von zwei sich liebenden Menschen im Wege und zerstörte eine Familie. Meine Zweifel an den offiziellen Losungen von der „unverbrüchlichen Freundschaft zwischen den Bruderländern DDR und Sowjetunion“ und der „Solidarität zwischen den sozialistischen Völkern“ wuchsen erheblich. Wie auch am Wahrheitsgehalt so manch anderer Losung. Dennoch war ich insgesamt mit meinem Studentenleben mehr als zufrieden. Nicht einmal ein eigener, wenngleich nur kleiner Schwarzweiß-Kofferfernseher fehlte in unserem Zimmer. Es gab im Heim einen Fernsehraum, der allen Bewohnern zugänglich war und in dem man die beiden DDR-Programme empfangen konnte. Dank einer riesigen Antenne, die ich im obersten Stockwerk am dortigen Küchenfenster installierte und eines sechzig Meter langen Antennenkabels, das durch das halbe Treppenhaus verlief, rückten Monique und ich zu den Privilegierten auf, wir konnten nun das ARD-Programm, wenngleich mit laufenden Streifen und gelegentlichem Bildausfall, empfangen. 1981, als die Serie „Dallas“ im bundesdeutschen Fernsehen anlief, wurde unser Zimmer jeden Dienstagabend zum Wallfahrtsort für fast ein Dutzend Studentinnen der Seminargruppe meiner Ehefrau (inzwischen waren wir den Ehebund eingegangen). Ich erwartete immer, dass es großen Ärger geben würde, weil Studenten so unverblümt in einem sozialistischen Studentenheim einen „Feindsender“ sahen. Aber der Volksweisheit „Frechheit siegt“ scheint viel Wahres zugrunde zu liegen. Ich erklärte der Heimleiterin, dass ich hin und wieder politische Berichte und Dokumentationen im Westfernsehen sehen müsste, dies wäre für mein Studium und für Artikel, die ich für eine Tageszeitung schreiben würde, äußerst wichtig. Die Heimleiterin, eine ältere, alleinstehende Dame Ende fünfzig mit einem barschen Ton, aber einem recht weichen Herzen, war mir vom ersten Tag unserer Bekanntschaft an zugetan, sie

Weitere Kostenlose Bücher