Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)
Karten für die Vorstellungen zu bekommen. Die frechen und das reale Leben in der DDR kritisch unter die Lupe nehmenden Sketche sorgten für einen dauerhaften Publikumsansturm auf die Kasse der kleinen Bühne. Aber nicht seine klugen, satirischen Beiträge, machten ihn zu einem national berühmten Künstler, sondern der von ihm geschriebene Titel „Sing, mein Sachse, sing“. Er hatte wohl selbst kaum damit gerechnet, dass der von ihm verfasste Text und die Melodie von Arndt Bause, zu dem DDR-Hit des Jahres 1979 werden und sich über zweihunderttausend Mal in den Plattenläden verkaufen würde. Vor allem in Sachsen wurde dieser Titel buchstäblich Tag und Nacht gespielt. Beim ersten Mal des Hörens fand ich den Titel ganz amüsant. Als er jetzt aber erklang, hätte ich am liebsten den Lautsprecher von der Wand gerissen. Meine Resignation schlug in eine aggressive Stimmung um, aber ich fühlte mich damit besser und entwickelte eine Art Trotzreaktion. Wenn ich ohnehin nichts ändern konnte, würde ich mir meine Zeit von nun an vernünftiger einteilen, selbst auf die Gefahr hin, exmatrikuliert zu werden. Ich begann damit, dass ich nun doch die Vorlesungen, die ich für nutzlos und uninteressant hielt, schwänzte. In der unmittelbaren Nähe des Vorlesungsgebäudes befand sich ein kleines Filmkunstkino. Dieses begann sein Programm oft schon in den Vormittags-stunden. Das Programm unterschied sich von den üblichen Filmtheatern. Es wurden viele ausländische Filme mit Untertiteln gezeigt, alte UFA-Streifen oder amerikanische Filme der dreißiger und vierziger Jahre. Da der Eintritt für die Tagesvorstellungen nur fünfzig Pfennig betrug, ging ich jetzt fast täglich einmal ins Kino, meist in die Vormittagsvorstellung, zur Vorlesungszeit. Anfangs gab es Erkundigungen von den Kommilitonen und einige Ermahnungen und Vorwürfe vom FDJ-Sekretär. Auf seine Frage, was ich während der Vorlesungen denn machen würde, antwortete ich wahrheitsgetreu: „Ich sehe mir Filme im Casino an.“
Ich sah seinen ratlosen Blick. Also fuhr ich fort: „Ich bin seit einigen Monaten freier Mitarbeiter einer Berliner Tageszeitung und schreibe unter einem Pseudonym Filmkritiken. Das heißt, ich sehe mir die meisten Filme quasi dienstlich an, um auch Vergleiche ziehen zu können und mit der gesamten Filmgeschichte besser vertraut zu werden.“ Ich hatte nicht erwartet, dass er dies als Begründung gelten lassen würde. Zumindest hatte ich mit Nachfragen bezüglich des Zeitungsnamens und meines Pseudonyms gerechnet. Dem war nicht so. Ich wurde nie wieder bezüglich meiner Anwesenheit behelligt. Zumal ich in den Seminaren und bei den Prüfungen, die von mir erwarteten guten oder sehr guten Noten erhielt. Alle Ergebnisse waren identisch mit den unter anderen Umständen schon einmal erzielten.
Ich fühlte mich wohl, wenn ich schon am helllichten Tag in die „Dunkelkammer“ gehen konnte, oft als einer von nur fünf oder sechs Zuschauern, und „Manche mögens heiß“, „Tarzan und die Nazis“ oder „Iwan der Schreckliche“ über die kleine Leinwand flimmern sah. Auch die Abende gestaltete ich nun anders, im September, mit Beginn des neuen Studienjahres, erhielten Monique und ich ein eigenes Zimmer. Wir waren zwar noch nicht verheiratet, aber ich brachte den von einem Thüringer Standesamt ausgestellten Schein mit dem angemeldeten Vermählungstermin für den März kommenden Jahres mit, als Beleg für unsere festen Absichten, ein staatlich anerkanntes Paar zu werden. Warum wir uns erst einen Termin im Frühjahr geholt hatten, wurde ich von der Heimleiterin gefragt. Ich flunkerte das Blaue vom Himmel herunter. Je verrückter und unwahrscheinlicher eine Ausrede klang, je größer waren die Chancen, dass sie einem abgenommen wurden. Das Zimmer war groß und hell, wir fühlten uns wie im siebten Himmel. Dank der vielen Einrichtungsgegenstände, die unsere Verwandten auf Dachböden oder Kellern noch verstaut hatten und uns nun für unser erstes eigenes Domizil abtraten, hatten wir bald das spießigste und gemütlichste Zimmer des gesamten Heimes. Mindestens zweimal die Woche und an den Wochenenden obligatorisch, ging es heiß her, die Nächte wurden zum Tage gemacht. Wir feierten meist in ungewöhnlicher Runde, entweder kamen die besten drei Freundinnen meiner Frau in unser Reich und ich war der Hahn im Korbe oder aber ich lud meine zwei ausländischen Freunde ein, Nchee aus Südafrika und Ahmed aus Afghanistan, wir versäumten keine Übertragung
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