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Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Titel: Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Tenner
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die Ergebnisse der bundesdeutschen Untersuchung von 1979 las und an die Jugend des Jahres 2008 dachte, war ich mir nicht ganz sicher, welche Pädagogik sich durchgesetzt hatte oder ob es auf diesem Gebiet eine Vereinigung unter negativem Vorzeichen gegeben hat. Aber auch die vielen anderen Zeitungen und Zeitschriften und Bücher, die ich in den folgenden Jahren las, konnte ich immer nur unter einem späteren Blickwinkel lesen und beurteilen. Das war nicht immer nur ein Vorteil oder Vergnügen. Eine naive Freude und gewisse Erwartungen, die ich beim Lesen dieser oder jener Schlagzeile empfunden hatte, gingen völlig verloren. Aber es gab auch einige von mir herbeigeführte Veränderungen, die mir Neues brachten und positive Gefühle erzeugten.
    Ich besuchte nun, wie ich es mir von Anfang an vorgenommen hatte, Vorlesungen und andere Veranstaltungen natur-wissenschaftlicher Sektionen. Mein dort angeeignetes Wissen konnte ich gut in so manche philosophische Diskussion einbringen. Die FDJ-Leitung unterbreitete Mitte des zweiten Studienjahres in der Sektionsversammlung den Vorschlag, dass jeder Student der Seminargruppe mindestens einmal im Monat an einer Vorlesung der Physiker oder Biologen teilnehmen sollte. Eine Maßnahme, die auch in der Sektionsleitung auf Zustimmung stieß und den Verantwortlichen viel Lob einbrachte. Ich freute mich für sie. Und ich freute mich, dass offensichtlich doch die Möglichkeit bestand, das Leben wenigstens etwas anders als beim ersten Mal zu gestalten.

11. Kapitel
    Nach der Rückkehr aus den Weihnachtsferien wartete diesmal eine interessante Diskussion auf mich. Ich war sogar schon voller Vorfreude. Sie sollte diesmal aber einen anderen Ausgang nehmen als beim ersten Mal und mich sehr drastisch an meine Sanduhr erinnern. Genau zum christlichen Weihnachtsfest 1979, dass in dieser Region aber kaum eine Rolle spielte, waren doch 99 Prozent der Bevölkerung Muslime, besetzten russische Truppen Teile Afghanistans und setzten Babrak Karmal als neuen Präsidenten ein. Die Propaganda der DDR verteidigte natürlich den Einmarsch als eine revolutionäre Tat, um die fortschrittlichen Kräfte im Land zu unterstützen, diese hätten die Sowjetunion offiziell um Hilfe gebeten. Ich hatte die Ereignisse mit meinem Freund Ahmed diskutiert, diesmal kannte ich aber die Entwicklung des Krieges und seine Langzeitfolgen und wusste, dass inzwischen auch schon Dutzende deutscher Soldaten ihr Leben am Hindukusch gelassen hatten. Mein Interesse ging also viel tiefer als dreißig Jahre zuvor. Ich wollte mehr Hintergründe erfahren und endlich Dinge verstehen lernen, die dem europäischen Geist und der deutschen Mentalität eher fremd waren. Die Diskussion sollte mir aber ein neues Rätsel aufgeben. Zunächst verlief alles wie beim ersten Mal. Ich meinte, Ahmed müsse doch froh sein, dass die sowjetischen Truppen die eingeleiteten Reformen absicherten und die reaktionären Kräfte in Schach hielten. Die Bodenreform war bei den Großgrundbesitzern auf heftigen Widerstand gestoßen und Maßnahmen wie die Abschaffung des Brautpreises oder das Verbot des Verkaufes von Frauen an zukünftige Ehemänner sowie die Alphabetisierung der gesamten Bevölkerung, einschließlich der Frauen, brachten das Land zwar dem 20. Jahrhundert näher, stießen bei vielen konservativen Kräften auf militante Ablehnung. Ahmed wirkte eher bedrückt. „Weißt du, Frank, einerseits ist es natürlich gut, dass wir militärische Hilfe erhalten, um die Großgrundbesitzer und ihre Armeen in Schach zu halten. Ich habe gestern mit meinem Vater telefoniert, in Kabul und anderen Großstädten wurden die Truppen mit Blumen von der Bevölkerung begrüßt, alle erhoffen sich endlich Frieden und Sicherheit. Aber auf der anderen Seite gibt es nichts, was die meisten Afghanen mehr hassen als fremde Truppen auf ihrem Boden. Die Mazedonier, Sassaniden, Araber, Mongolen und die Engländer haben dies schmerzhaft zu spüren bekommen. Wusstest du, dass die Engländer einer ihrer größten Schlachten in ihrer langen Kolonialgeschichte in Afghanistan verloren haben? Fast fünftausend ihrer Elitesoldaten wurden 1842 am Khaiber Pass von aufständischen Afghanen getötet. Und auch zwei weitere Kriege, die die Engländer in unserem Land führten, endeten für sie mit blutigen Niederlagen. Es existieren allein dreißig ethnische Gruppen in unserem Land: Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadshiken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs, Hindus und so weiter. Ein Vielvölkerstaat. Die

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