Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)
wiedererkannt. Er zeigte mir noch einige andere Fotos, auf denen er meist in Uniform, einmal sogar eine Kalaschnikow stolz im Arm haltend, posierte. Dann kam das letzte Foto. Ich starrte wie entgeistert auf die vierköpfige in staubige Uniformen gekleidete Gruppe. Ich nahm das Foto in die Hand und betrachtete eindringlich die Gesichter. Es gab keinen Zweifel. Neben Ahmed stand ein Mann, der mir 2008 das erste Mal begegnet war – Will Smith.
Er sah nur um weniges jünger aus, als im Mai 2008, als er mit mir dieses seltsame Gespräch führte. Seine Uniform war zwar auch staubbedeckt, sah aber wie eine Maßanfertigung aus. Er hatte auch, wenngleich nicht dieselbe, so doch eine ähnliche Brille auf der etwas krummen Nase, wie er sie bei unserem Treffen in der Villa trug. Mit kaum zu verbergender Erregung in der Stimme fragte ich Ahmed: „Wer ist dieser Mann links neben dir?“
„Das ist ein sowjetischer Berater, er war für die ideologische Schulung unserer Politoffiziere zuständig. Er heißt Nikolai Tscherkassow. Ein kluger Mann, der uns viel über die Dummheit und die sozialen Ursachen des Gottesglaubens beigebracht hat.“ Mir fiel bei diesem Namen sofort der Hauptdarsteller aus Sergej Eisensteins Film „Iwan, der Schreckliche“ ein. Ich hatte diesen Film erst kurz vor Weihnachten im Filmkunstkino gesehen. Deshalb waren mir die Namen der Hauptdarsteller noch gut in Erinnerung. „Nikolai Tscherkassow? Bist du sicher?“ „Ja, er meinte, er hieße wie ein berühmter sowjetischer Schauspieler gleichen Namens.“
Also war meine Vermutung zutreffend. Wahrscheinlich bereitete es meinem geheimnisvollen „Global Player“ Vergnügen, sich seine Decknamen aus der Riege der international bekannten Schauspieler auszusuchen. „Bis du sicher, dass dieser Mann Russe ist?“
„Er sprach fließend russisch und erzählte mir viel über Moskau. Aber warum fragst du so komisch? Kennst du ihn etwa?“
„Ich weiß nicht. Ich habe das Gefühl, diesen Mann schon getroffen zu haben. Hast du viel mit ihm zu tun gehabt? Und wie lange war er bei euch?“
„Ungefähr drei Monate. Er hielt Vorträge und arbeitete Schulungsmaterial für unsere Propagandisten aus. Er wirkte sehr engagiert. Und er scheint große Erfahrungen zu haben. Er muss viel in der Welt herumgekommen sein.“
„Da könntest du wohl recht haben. Weißt du, was er zurzeit macht?“
„Ich glaube, nach der Machtübernahme durch unsere Partei ist er nach Moskau zurück beordert worden. Wo glaubst du denn, ihm schon einmal begegnet zu sein?“
Ich konnte wohl kaum von meinem Treffen 2008 erzählen. Also musste ich ausweichen und vage Vermutungen anstellen. „Ich war einige Zeit, Anfang der 70er Jahre, zu einem Schüleraustausch in Moskau, es könnte sein, dass ich ihn bei einem der offiziellen Treffen in Moskau oder Leningrad gesehen habe. Wir haben auch einige Vorträge von Vertretern der Stadtverwaltungen gehört. Genau weiß ich es nicht mehr. Ist ja auch nicht so wichtig.“ Dies war natürlich mehr als eine kleine Lüge. Wer immer dieser Mann war, er war nicht nur geheimnisvoll, er wurde mir langsam unheimlich. Vor allem konnte ich mir nicht vorstellen, für wen er wirklich tätig war. War er Doppelagent der Amerikaner? Hatte in den 70er Jahren vielleicht für die CIA bei den russischen Truppen spioniert? Oder war er tatsächlich Russe und hatte den Weg in die amerikanischen Machtzentralen gefunden? Oder arbeitete er für eine Dritte Kraft, um die Russen und Amerikaner gegeneinander auszuspielen? Aber warum hatte er sich so wenig äußerlich in all den Jahrzehnten verändert? Fragen ohne Aussicht auf eine Antwort. Zumindest in absehbarer Zeit. Ich hatte ein ganz, ganz schlechtes Gefühl in der Magengegend und dieses Gefühl konnte ich bei allen Versuchen, es zu verdrängen, einfach nicht völlig loswerden. Es sollte mich über Jahrzehnte begleiten. Zumal es nicht das letzte Mal vor dem Jahre 2008 gewesen sein sollte, dass ich mit Will Smith, ich hatte mich an diesen Namen gewöhnt, den wahren Namen würde ich ohnehin nie erfahren, zu tun haben würde.
12. Kapitel
Im Herbst 1980 bekam ich ein flaues Gefühl in der Magengegend. Ich überlegte krampfhaft, welches Ereignis bevorstehen würde, dass ich bislang verdrängt hatte und dass offensichtlich eine äußerst beklemmende Wirkung auf mich ausgeübt hatte. Am 1. November wusste ich es. Beim Auflegen einer Beatlesplatte, die ich teuer erstanden hatte. Der nominelle Preis einer Amiga-Schallplatte betrug
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