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Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Titel: Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Tenner
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Werte ging, sondern um das bloße Bewältigen des Alltags, einfach um durchs Leben zu kommen.
    Man musste den Eltern zeigen, wie Kinder ins Bett gebracht werden konnten oder dazu angeregt, morgens aufzustehen und die Schule zu besuchen und wenigstens gelegentlich auch mal Schularbeiten zu machen, wie man Schulden vermeiden oder wieder loswerden konnte, wie man eine Wohnung, die einer Müllhalde glich, zu einem halbwegs bewohnbaren Domizil umgestalten konnte, wie man aus Lebensmitteln essbare Gerichte kochte, wie man seine Tiere unter Kontrolle bekommt, wie man einen korrekten deutschen Satz formuliert, um jemanden ansprechen und dem Singledasein entfliehen zu können, wie man sich kleidet und frisiert, um nicht bereits beim Eintritt zum Bewerbungsgespräch aus dem Büro geworfen zu werden. Wie man mit fünfzehn oder sechszehn mit Suchtkrankheiten fertig werden und dem Nikotin, dem Alkohol oder den Drogen oder dem Leben auf der Straße wieder entfliehen kann. Man bekam wichtige Tipps zur Vermeidung von Strafprozessen, sodass man Polizisten nicht einfach mit Flaschen bewerfen dürfe und wenn man schon vor Gericht gelandet sei, zeigten unzählige Shows, wie man sich vor den Richtern verhalten müsse, um nur mit einer kleinen Haftstrafe oder Verwarnung davon zu kommen. Ahmed gegenüber äußerte ich diese Gedanken nicht, er hätte nicht verstanden, von welchem Planeten ich sprach. Er fuhr mit großer Inbrunst fort: „Nicht zu vergessen, die archaische und damit immer latent antiwestliche Ausrichtung des Koran, die das Lebensgefühl vieler sich benachteiligt oder ausgebeutet fühlender Völker der arabischen und asiatischen Welt widerspiegelt.“ Die Argumente leuchteten mir ein und ich musste an den Siegeszug des Islam der kommenden Jahrzehnte denken, von dem Ahmed noch gar nichts ahnte. „Wie wollt ihr denn in eurem Land diese traditionellen Vorstellungen und Glaubensauffassungen ändern?“
    „Nun, es wird sicher ein langer Weg. Vor allem brauchen wir Schulen, viele Schulen, aufgeklärte Lehrer und Dozenten, und wir müssen die materielle Lage der armen Bevölkerung verbessern. Wir brauchen weniger Soldaten als große finanzielle Hilfe. Ich hoffe, die sowjetischen Freunde werden nicht nur auf ihre militärische Unterstützung setzen. Ein Ausbilder hat es sehr schön formuliert: Der neue Glaube geht durch den Magen.“ Ich wollte Ahmed nicht seine Illusionen rauben und von dem schmachvollen Abzug der russischen Truppen in zehn Jahren sprechen. Ich stellte mir vielmehr vor, wie deutsche Politiker den Abzug der deutschen Truppen schönreden würden und die Erfolge loben, die man erzielt hätte. Über den einfachen Umstand, dass die Zahl der Toten und Verwundeten zu hoch geworden war, um noch von der Mehrheit der wahlfähigen Bevölkerung toleriert zu werden, würden sie sicher nicht sprechen. Leiden mussten bis dahin jene, die entgegen den politischen Beteuerungen und militärischen Bemühungen und persönlichen Anstrengungen, auf im wahrsten Sinne des Wortes verlorenem Posten standen. denn nichts ist deprimierender als einen gerechten Krieg zu führen, den man aber nicht, zumindest nicht auf konventionellem Wege, gewinnen kann. Für die, in ihm starben, spielen Attribute wie „gerecht“ oder „ungerecht“ ohnehin keine Rolle mehr. Die Europäer hatten offenbar nicht allzu viel aus der Vergangenheit und den Niederlagen anderer gelernt. Vielleicht sollten die Politiker, die ihre Soldaten Tausende Kilometer von der Heimat entfernt in einem mittelalterlichen Bergland in den Kampf schicken gegen irreguläre Truppen, Drogenbarone, als Terroristen verkleidete Kriminelle oder Kriminelle, die sich als Freiheitskämpfer tarnen, zuvor wenigstens einige Monate in diesem Land leben und sich mit den konkreten Bedingungen vertraut machen. Wahrscheinlich würden dann Einsatzbefehle sehr schnell zurückgezogen werden oder anders ausfallen. Ahmed sah meine nachdenkliche Miene. „Was hast du?“
    „Ich schaue gerade in die Zukunft. Apropos schauen. Ich möchte mir gern deine Fotos ansehen.“ Er nickte, ging zum Kleiderschrank und holte einen Schuhkarton hervor, der bis oben hin mit Fotos gefüllt war. Nach einer Weile des Suchens hatte er ein halbes Dutzend Fotos entnommen, die er auf den Schreibtisch legte und mir erklärte: „Das bin ich mit einigen Kameraden meiner Einheit in einem Bergdorf.“ In der Felduniform und mit dem Käppi auf dem Kopf und völlig unrasiert, hätte ich meinen sonst so unscheinbaren Ahmed kaum

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