Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)
doch nichts ändern konnte? Dann wäre Unwissenheit doch vorzuziehen. Hatte man meine Briefe nicht ernst genommen, hatten sie überhaupt die Adressaten erreicht? Das FBI, so munkelte man, wäre nicht besonders gut auf John Lennon zu sprechen gewesen, hatte wohl sogar eine Akte über ihn angelegt. Vielleicht war es denen völlig egal, oder noch schlimmer, kam es ihnen gerade recht, wenn irgendein Verrückter diesen Querulanten ins Jenseits befördern würde. Wozu sollte man also anonymen Warnungen nachgehen? Ich tat den Beamten der Untersuchungsbehörden Unrecht. Sie hatten niemals einen Brief aus Westberlin erhalten. Meine Großmutter gestand mir einige Monate später, dass sie nur zwei der Briefe aufgegeben hätte, die an die Plattenfirma und an den Musiker. Den Brief an das FBI hätte sie zerrissen und weggeworfen, sie hätte Angst gehabt, ich könnte mir eine Menge Ärger einhandeln, wenn ich an eine Staatsbehörde in Amerika schreiben würde. Ich verzichtete darauf, mit ihr zu schimpfen oder ihr Vorhaltungen zu machen, sie hatte es gut gemeint. Ändern ließ sich ohnehin nichts mehr.
Die anderen beiden Briefe schienen nicht die richtigen Stellen erreicht zu haben. Oder man hatte sie nicht ernst genommen. Viele Jahre später, ich verfügte über Internet und die Möglichkeit, Details des Attentates in Erfahrung zu bringen, war ich mir nicht mehr sicher, ob meine Schreiben tatsächlich verschwunden oder im Papierkorb gelandet waren. Ein Agent der Plattenfirma äußerte sich in einem Interview, es wären bei der Produktionsfirma anonyme Hinweise aus Deutschland auf ein mögliches Attentat eingegangen und man hätte dies auch Lennon mitgeteilt und ihn gebeten, am 08. Dezember nicht von den Studios in sein Apartment zurückzufahren. Er hätte nur gelacht und habe nicht wie sonst, den Wagen in den Innenhof fahren, sondern hätte den Fahrer vor dem Dakota Building stoppen lassen und wäre mit Yoko Ono fast demonstrativ aus dem Auto gestiegen. Er soll zu Yoko gesagt haben, wenn man der Angst Raum gibt, schnürt man die Freiheit ein. Wenige Sekunden später seien die Revolverschüsse abgefeuert worden. Ich fragte mich, ob meine Warnungen das Gegenteil vom Beabsichtigten erreicht hatten. Wäre Lennon wie an anderen Tagen in den Innenhof des bewachten Apartmentkomplexes gefahren, wäre Chapmann niemals an ihn herangekommen. Zumindest nicht an diesem Abend. Unsinn. Ich machte mir bewusst, dass ich erst nach meiner Rückkehr in die Vergangenheit versucht hatte, Einfluss auf das Geschehen zu nehmen. Das Attentat hatte auch stattgefunden und war geglückt, (was für ein Wort: geglückt, die Sprache hat eigenartige Kombinationen) als ich nichts vom Geschehen ahnte. Der Attentäter hatte auch ohne mein Zutun sein Ziel erreicht.
Was blieb war eine Art Orientierungslosigkeit; konnte ich überhaupt irgendetwas beeinflussen oder ändern? Es sollte lange dauern, bis ich darauf eine schlüssige Antwort erhalten würde.
13. Kapitel
Das Jahr 1981 brachte eine wachsende Propaganda gegen den sogenannten Nato-Doppelbeschluss, die Friedensbewegung in den
westeuropäischen Staaten wurde gelobt, gleichzeitig aber Pazifismus im eigenen Land als bürgerliche Strömung vehement abgelehnt und bekämpft. Die stärker werdende unabhängige Gewerkschaftsbewegung in Polen bereitete dem Politbüro der SED aber wohl größeres Kopfzerbrechen als die Gefahr eines nuklearen Holocaust. In allen Veranstaltungen wurde auf die imperialistische Unterwanderung der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc verwiesen. Die Agitation erreichte nach den Streiks im August ihren Höhepunkt, man konnte die Verunsicherung der Funktionäre spüren, wenn es um die Gewerkschaftsfrage und die Entwicklung im „Bruderland“ Polen ging. Auch in den privaten Diskussionen während der Pausen spielte Solidarnosc eine immer größere Rolle. Es kam natürlich die Frage auf, ob unsere eigenen Gewerkschaften, die im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund zusammengeschlossenen Gewerkschaften, wirklich unabhängig seien. In den Parteilehrjahren mühten sich die Propagandisten redlich ab. Eine Gewerkschaft wie in den kapitalistischen Ländern sei gar nicht notwendig, meinten sie, denn es gäbe keine ausbeutende Klasse, gegen die die arbeitenden Menschen ihre Rechte durchsetzen müssten. Ein Streik wäre völlig sinnlos, da wir eine Arbeiter- und Bauernregierung hätten, die die Interessen des werktätigen Volkes vertreten würde, bei einem Streik würde man letztlich gegen sich selbst
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