Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Titel: Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Tenner
Vom Netzwerk:
Verantwortlichen des Bundesnachrichtendienstes, wo er den Decknamen „Schneewittchen“ erhielt. Wirklicher Macht kann auch kein Systemzusammenbruch etwas anhaben.
    Wie immer der Kredit aber auch zustande kam, er war einer von drei oder vier Maßnahmen und Entscheidungen, die dazu führten, dass es zu keiner militärischen Auseinandersetzung in Europa kam und der Sozialismus Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre recht sang- und klanglos von der europäischen Bühne verschwand. Die Gewährung dieses und des 1984 folgenden Milliardenkredites, verschafften der DDR-Führung etwas Luft, auch von anderen Seiten bekam man nun wieder langfristige Kredite, galt man wieder als zahlungsfähig. Der Ton, der sich nicht nur zwischen den beiden deutschen Staaten verschärft hatte, wurde etwas moderater, die Spannungen, die sich auf allen Gebieten abzeichneten, nicht zuletzt dem der Rüstung, ließen nach. Ein Zusammenbruch der DDR zu diesem Zeitpunkt, gefolgt von Unruhen in der Bevölkerung, hätte international verheerende Folgen nach sich ziehen können. In Moskau gab es noch keinen Gorbatschow, der auf Reformen, statt auf Krieg setzte. Wie ernsthaft die Option einer militärischen Auseinandersetzung mit dem Westen von den Führern der kommunistischen Staaten, auch denen der DDR, ins Kalkül gezogen wurde, sollte ich im Jahre 1984 erfahren. Die Regierung der DDR konnte noch einige Jahre den Schein erwecken, die Entwicklung ginge zwar mit kleinen Rückschlägen, aber insgesamt doch kontinuierlich voran. Sie ließ sich von dem erhaltenen Geld dazu verleiten, weiter zu machen wie bisher und längst überfällige Reformen zu verschieben. Und sie erlag selbst dem Schein, dass man wieder alles im Griff hätte. Als Erich Honecker in einer seiner späten Reden verkündete: „Den Sozialismus in seinem Lauf, halten weder Ochs noch Esel auf!“ wurde den meisten DDR Bürgern klar, dass ihre obersten Führer in einer anderen Welt lebten und es keine Reformen wie in der Sowjetunion geben würde. Ein scheinbar unwichtiges Detailereignis wurde zum Fanal. Im November 1988 verbot die DDR-Führung die Auslieferung der sowjetischen Digest-Zeitschrift „Sputnik“, eine Zeitschrift, die in vielen, auch westlichen Ländern erschien und sich zunehmend der Aufarbeitung der stalinistischen Vergangenheit widmete. Dieses Verbot eines Presseerzeugnisses des „großen Bruders“, war für viele Bürger der letzte Beweis dafür, dass sich die tonangebenden SED-Führer von einem Glasnost-Kurs, wie ihn Gorbatschow seit 1985 in der Sowjetunion eingeleitet hatte, distanzierten und kein Interesse an der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit und einer Veränderung der politischen Struktur in der DDR hatten. Es blieb also nur die Möglichkeit, dem System zu entfliehen oder dagegen zu rebellieren. 1983 stand eine Rebellion oder gar Revolution noch nicht auf dem Programm, aber die Wochen der Rationierung zeigten die Anfälligkeit der Wirtschaft und die Unsicherheit der Führung. Die meisten Bürger mit ihrem gesunden Menschenverstand wussten die Erfolgsnachrichten von Juni 1983 sehr wohl in eigener Weise zu deuten. Wenn man sich so dringend Geld vom Klassenfeind borgen musste, konnte das nur bedeuten, das man auf dem letzten Loch pfiff. Und wenn man sich sogar mit dem Staatsfeind Nr. 1, dem bayrischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, der Inkarnation eines Reaktionärs, einließ und diesen hofierte, war man am Ende seines Lateins angelangt, diese und ähnliche Äußerungen hörte ich damals fast wörtlich in Leipziger Cafés und Studentenkneipen. Einige der Älteren erinnerten sich schmunzelnd an die Versprechungen des ehemaligen Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht der fünfundzwanzig Jahre zuvor großspurig auf einem Parteitag verkündete, dass man die BRD in wenigen Jahren in ihrer Entwicklung überholen werde. Jetzt holte man sich Geld zum Überleben. Der Glaube an die Überlegenheit des sozialistischen Systems gegenüber dem „ausgedienten“ und „sterbenden“ Kapitalismus ging für die meisten Normalbürger der DDR endgültig verloren. Bevor ein System materiell zusammenbricht, kommt der ideelle und moralische Zusammenbruch. Auch in Leipzig galten bis zum Frühsommer Rationierungs-vorgaben. Einige Bürger versuchten, diese zu umgehen oder zu unterlaufen, mit mehr oder weniger klugen Plänen und Handlungsweisen. Einer der Studenten des 1. Studienjahres unserer Sektion war auf die Idee gekommen, nicht nur das erlaubte Stück Butter pro Person zu

Weitere Kostenlose Bücher