Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)
Sektionsdirektor hielt mit glänzenden Augen einen Vortrag, in dem er über seine Erfahrungen und Erlebnisse während der konterrevolutionären Putschversuche 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn und 1968 in der Tschechoslowakei berichtete. Immer hätten in letzter Sekunde das richtige und konsequente Handeln der Kommunisten dazu geführt, dass die Versuche des Imperialismus, das Rad der Geschichte zurückzudrehen, gescheitert seien. Er erntete viel Beifall, vor allem bei den älteren Lehrkräften. Für mich brachte diese Geschichte einen großen Vorteil. In der Sektionsleitung und der Studiendirektion glaubte man nun, ich hätte irgendwelche hochkarätigen Beziehungen nach Berlin, Verwandte in der Partei- oder Regierungsspitze, durch die ich vorab von den geplanten Maßnahmen erfahren hätte.
Was immer ich von nun an sagte oder tat, ich hatte eine Art Außenseiterstellung und Freibrief erobert und wurde mit anderen Maßstäben gemessen. Dies sollte sich vor allem bei der Butterbeißeraffäre des Jahres 1983 zeigen.
14. Kapitel
Das Jahr 1983 bescherte mir einen hervorragenden Studienabschluss. Trotz aller Feiern und Kinobesuche und wesentlich geringerer Lernaktivitäten erhielt ich die Bestnote und eine Stelle als wissenschaftlicher Assistent für Geschichte der Philosophie. Nun konnte ich mich ausgiebig der Forschung widmen und endlich Seminare halten, wie ich sie mir selbst während meines Studiums gewünscht hatte. Für die DDR wurde dieses Jahr weniger erfolgreich. Die wirtschaftliche Lage war noch prekärer als sonst, selbst die Grundnahrungsmittel, die es bisher immer ohne Probleme gegeben hatte, mussten einige Zeit rationiert werden. Berlin bildete eine Ausnahme, hier war das Fenster zum Westen und gab es eine Bevölkerung, die alles andere als homogen und still und bescheiden war. In den anderen Städten und auch ländlichen Gemeinden wurden aber genaue Richtlinien ausgegeben, wie viele Stücken Butter oder Flaschen Milch von einer Person erworben werden durften. Es gab keinen Grund in Panik zu verfallen oder Hunger zu befürchten, dennoch gab es Murren in der Bevölkerung und die berechtigte Frage: In welchem Jahr leben wir eigentlich? 1946? Oder 1983? Zwölf Jahre nach dem 8. Parteitag der SED, der auf allen Gebieten, vor allem in Bezug auf Wohnungen und Konsum der Bevölkerung viel, zu viel versprochen hatte. In den siebziger Jahren konnte man einiges der großen Versprechen einlösen, aber mit jedem Jahr wurden die Rohstoffe teurer, die Auslandsschulden größer und die Wirtschaftspotenz kleiner.
Die Lage spitzte sich zu, in welch dramatischer Weise, erfuhr auch ich erst in späteren Jahren. Der wirtschaftliche und dann wahrscheinlich politische Kollaps wurde durch einen Milliardenkredit, genau genommen waren es sogar zwei, der Bundesregierung verhindert. Der vielleicht umstrittenste Politiker der deutschen Nachkriegsgeschichte, Franz-Josef Strauß, der bis dahin als antikommunistischer Hardliner und größter Feind der sozialliberalen Ostpolitik galt, wurde zum Initiator eines der DDR gewährten und von der Bundesregierung verbürgten Milliardenkredits. Er stieß damit viele seiner Anhänger vor den Kopf, er verlor als Politiker viel von seiner Reputation, zumal mit diesem Kredit keinerlei Gegenleistungen der DDR-Seite verbunden waren. Wahrscheinlich war es der klügste, weil strategischste Schachzug seiner gesamten Karriere und so weitsichtig, dass erst viel später die positive Tragweite seines Engagements erkennbar wurde. Möglich aber auch, dass dieser Kredit einer Bierlaune entsprang. Strauß hatte Sympathie zu Alexander Schalck-Golodkowski gefasst, man lag, wie der Volksmund sagt, auf der gleichen Wellenlänge, wusste die schönen Seiten des Lebens durchaus zu schätzen und hatte keine Illusionen über Macht und ihre Ziele. Schalck-Golodkowski war die graue Eminenz der DDR, kein Normalbürger kannte seinen Namen und seine vielen Funktionen, seit 1975 war er Oberst der Staatssicherheit im besonderen Einsatz, mit dem Gehalt eines Generalleutnants und der Macht eines Generalfeldmarschalls. Die von ihm geführte Kommerzielle Koordinierung besorgte durch dubiose Geschäfte Devisen für die DDR und ohne ihre Aktivitäten und den 1983 ausgehandelten Kredit hätte die DDR das Jahr 1989 sicher nicht erreicht. Als Dank ließen ihn die Verantwortlichen im Herbst 1989 fallen, wollten ihn opfern, um ihre eigene Haut zu retten. Mehr Rückhalt fand er bei seinen Freunden in der Bundesrepublik und bei den
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