Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)
aussuchen, einen Tag, den ich ohne Ende immer wieder und wieder erleben müsste, wäre es sicher dieser 8. Juli 1990.
Die folgenden Monate verfolgte ich die politischen Geschehnisse nur noch mit einem Auge und gab manchen wenig konstruktiven Kommentar ab. Trotz meiner Kritiken und abschätzigen Äußerungen bewahrte sich mein Freund Tommy seinen Enthusiasmus. Sein Engagement war ungebrochen. Aber er erlebte auch, abgesehen von meinen Prognosen alles zum ersten Mal. Er schlief kaum, nahm an allen Demonstrationen und Treffen der Bürgerrechtler teil, weilte oft in der Nikolaikirche, wo sich das Zentrum des friedlichen Protestes formierte, verfasste Pamphlete und ernsthafte Gesellschaftskonzepte. Der gesundheitliche Zusammenbruch war nur eine Frage der Zeit. Meine ständigen Warnungen und Bitten führten diesmal aber dazu, dass er die Nervenheilanstalt vermeiden konnte und sich nur in Therapie begeben und zu einer vierwöchigen Kur durchringen musste, danach stürzte er sich wieder mit neuem Elan in die Arbeit. Er freute sich wie ein kleiner Junge, meinte er doch, er hätte mich damit einer falschen Voraussage überführt. Ich gönnte ihm diesen Glauben. Nach der Umgestaltung der Universität wollte er mich unbedingt dazu bringen, weiter an der Universität zu bleiben und mit ihm zusammenzuarbeiten. Aber die jahrelangen Fahrten zwischen meinem Hauptwohnsitz in Berlin und dem Arbeitsort Leipzig hatten mich und das Familienleben immer mehr belastet und ich betrachtete die Wende auch als Chance für mein persönliches Leben, noch einmal etwas Neues zu beginnen, das zu machen, was ich am besten konnte und was mich nicht ständig in Machtkämpfe und Intrigen verwickeln würde: als freischaffender Schriftsteller zu arbeiten. Durch die gute und sichere Anstellung, die Monique Ende Oktober 1990 in einer staatlichen Behörde fand, brauchten wir uns keine Sorgen um das tägliche Brot zu machen. Ich schrieb Filmkritiken und was ich so oft als Alibi benutzt hatte: Artikel für eine Berliner Tageszeitung. Außerdem arbeitete ich an einem Roman und einem Theaterstück. Durch einen Zufall kam ich bei einer Vernissage mit einem jungen Bundestagsabgeordneten ins Gespräch, der unbedingt einen zusätzlichen Redenschreiber suchte und mir auf Honorarbasis diese Stellung anbot. Da ich das Endergebnis dieser jahrelangen Zusammenarbeit kannte, lehnte ich diesmal das Angebot ab und verzichtete auf die nicht unerheblichen Nebeneinkünfte.
Worauf ich auch verzichtete, mit weitaus größeren Folgen, war die Reise nach Paris. Ich hatte nächtelang gegrübelt, ob ich mit Monique diese Reise unternehmen und die Sanduhr kaufen solle. Ich kam zu dem Schluss, es sei besser, mein Leben ohne dieses mysteriöse Ding weiterzuleben. Ich erzählte Tommy von meinem Entschluss. Er lästerte: „Du willst mir wohl dein bestes Beweisstück vorenthalten. Ich habe die letzten fünf Jahre nur darauf gewartet, deine berühmte und mysteriöse Sanduhr endlich zu Gesicht zu bekommen.“ Dann wurde er ernst. „Hast du dir diese Entscheidung wohl überlegt? Wenn deine Geschichte stimmt, könntest du immer wieder zurück in die Vergangenheit, um ein oder mehrere Jahre, du hättest die Unsterblichkeit gewonnen. Und du müsstest nicht einmal wie Münchhausen auf die Menschen verzichten, die dir nahe stehen. Du würdest immer wieder mit Monique, deiner Familie und deinen Freunden die Zeit verleben können. Ich würde dir wahrscheinlich deine Geschichte immer wieder abkaufen, sodass du sogar nicht einmal geistig einsam durch die Jahre wandern müsstest.“
„Es gäbe aber keinen Fortschritt und mit jeder Wiederholung würde das Leben weniger lebenswert für mich werden. Ich habe noch achtzehn Jahre vor mir, die ich kenne und es sind nicht die schlechtesten meines Lebens, warum sollte ich diese Uhr noch einmal benutzen?“ Das sollte ich drei Jahre später erfahren und meine Entscheidung bitter bereuen. Worauf ich aber auch bei meinem zweiten Leben nicht verzichten wollte, war die Reise nach Afghanistan mit der sich so viele unvergleichliche Erinnerungen verbanden, wenngleich sich darunter auch einige schreckliche und blutige befanden. Aber das Leben war nun einmal kein paradiesischer Garten ohne Leid und ohne Zeit. Vor allem wollte ich nicht darauf verzichten, Ahmed noch einmal vor seinem Tode wiedersehen. Mein alter Freund hatte eine Stellung beim Außenministerium in Kabul erhalten und war inzwischen Vater von drei Söhnen. Ihm schien es gut gehen. Er schickte mir und
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